Mantramänner
verbirgt.«
»Was denn?«, fragte ich verdattert.
»Sag du es mir«, antwortete er.
»Weiß nicht«, sagte ich und versuchte, an etwas Trauriges zu denken. Fast schien es mir, als würde Siv eine tragische Familiengeschichte erwarten, als wäre er enttäuscht, wenn ich keine zu bieten hatte. Aber hatte ich das? War eine Scheidung nicht eher der ganz normale Wahnsinn, wie ihn auch so viele meiner Freunde erlebt hatten?
»Vielleicht hat es mit meinen Eltern zu tun«, begann ich zögernd, »meinem Vater. Der hat damals von heute auf morgen einen Rappel bekommen und ist verschwunden. Da war ich achtzehn. Monatelang wussten wir nicht, wo er war. Meine Mutter hat damals mit dem Pendeln angefangen, weil sie dachte, so kommt sie ihm auf die Spur. So ging das alles los, dieser ganze Eso… äh, also, ich meine, ihre Faszination für das Spirituelle.«
Puh. Gerade noch mal die Kurve gekriegt. Wenn ich es mir mit dem Mann an meiner Seite gründlich verderben wollte, musste ich mich wahrscheinlich nur abfällig über Esoterikkrempel äußern.
»Ist er zurückgekommen?«, fragte Siv.
Ich konnte nicht antworten, denn gleichzeitig hatte Siv seine warme Hand auf eine Stelle unterhalb meines Nabels gelegt. Um genauer zu sein: Er hatte sie sogar auf meine nackte Haut gelegt. Was das anging, waren Yogahosen wirklich nähefördernder als Röhrenjeans. Nichts war einfacher, als Finger unter den Bund zu schieben.
»Was wird denn das, wenn es fertig ist?«, flüsterte ich und blickte mich verstohlen um. Nicht, dass seine Berührung mir nicht angenehm war. Im Gegenteil. Aber hier? Vor allen Leuten? An dieser Stelle?
Siv nickte ernst und fuhr mit der Fingerspitze auf meiner Haut hin und her. »So etwas habe ich mir gedacht. Menschen mit Verlusterfahrungen haben häufig Blockaden des Nabelchakras. Es braucht viel Einfühlung, um diese Blockade zu lösen.«
Ich sah ihn an, hin- und hergerissen zwischen Lust und Zweifeln. Fast schämte ich mich, wie wenig ich dagegen hatte, dass seine Finger dort herumwanderten. Und wie bereit ich war, sie auch noch an anderen Stellen wandern zu lassen. Andererseits klang das auch nach einer ganz billigen Masche. Baby, leg dich hin, ich löse deine Blockaden.
»Nimmst du mich mit zu dir?«
Ich hörte wohl nicht richtig. Hatte er mich tatsächlich eben gefragt, ob ich ihn mit zu mir nahm? Das war direkt.
»Das war direkt«, sagte ich.
»Ja. Ich weiß. Natürlich könnten wir jetzt ein Spielchen spielen, du und ich. Aber ich halte nichts von Spielchen. Energieverschwendung. «
Ich schloss die Augen und hob meinen Kopf ein wenig an. Das war mal eine schöne Ouvertüre für einen Kuss!
Doch der Kuss kam nicht. Stattdessen eine Hand, die mich entschlossen hochzog.
»Komm«, sagte er. »Lass uns gehen.«
Mein Herz klopfte bis zum Kopfchakra, während ich ihm folgte, durch den Innenhof, durchs Foyer und auf die Straße. Die Vorstellung von den gut gebauten Yogis, die aus Vollwerttorten sprangen, war also doch nicht so falsch gewesen. Nur ohne Vollwerttorte.
»Nehmen wir ein …«, fing ich an, doch ehe ich »Taxi« sagen konnte, hatte er schon seine weiten Hosenbeine mit Wäscheklammern fixiert und einen Fahrradschlüssel aus der Tasche gezogen.
»Meins parkt hier«, sagte er, »wo steht deins?«
»Ich habe gar kein Fahrrad«, antwortete ich und fragte mich gleichzeitig, warum ich mein Auto eigentlich hatte stehen lassen. Schließlich hätte ich mit meinen drei Mangoschorlen vor jeder Polizeikontrolle glänzend dagestanden. Dann fiel es mir wieder ein: Ich parkte direkt vor meiner eigenen Haustür. Ein Spitzenparkplatz, ein Sechser im Lotto, den ich nicht so einfach wieder aufgeben wollte. Selbst wenn ich dafür mein Auto gar nicht mehr bewegen durfte.
»Wo wohnst du denn?«, fragte Siv.
»Nordstadt. So etwa drei Kilometer, schätze ich.«
»Schön«, sagte er. »Genau das richtige Wetter für einen Nachtspaziergang. «
CHATURANGA DANDASANA
Das Krokodil (Chaturanga Dandasana) lässt den Geist entspannen, trainiert aber gleichzeitig unsere rasche, willensstarke Reaktion in entscheidenden Momenten des Lebens.
Wenn unser Abendspaziergang romantisch war, dann höchstens auf eine sehr eigenwillige Art. Industrieromantik, das war das Wort. Wir schlappten schweigend an Nachttankstellen vorbei, an Matratzendiscountern und Bauzäunen. Vögel sangen ihre Gutenachtlieder, wurden aber die meiste Zeit von Lastwagen übertönt, die beim Bremsen quietschende Furzgeräusche von sich gaben.
Siv hatte
Weitere Kostenlose Bücher