Mantramänner
lose seinen Arm um mich gelegt, mit der anderen Hand schob er sein Fahrrad. Er schwieg. Ich schwieg auch.
Schon das zweite Mal innerhalb von drei Tagen musste ich an Mirko Hansen denken, mit dem ich manchmal auch so nach Hause gelaufen war, damals, in der 11 b. Und dann war da noch dieser andere Gedanke, der einfach nicht verschwinden wollte, der zäh an mir klebte wie Kaugummi an einer Schuhsohle. Die Erinnerung an dieses andere, letzte Mal, das ich einen Mann mit zu mir genommen hatte.
An die Fahrt mit Chris, seine Hände auf dem Lenkrad, die Luft im Auto so hormonvernebelt, dass wir glatt eine rote Ampel übersehen hatten. Alles hatte gestimmt. Alles.
Und ich ganz allein war schuld, dass es im Ansatz gescheitert war.
Oder nicht?
Auch eine traurige Geschichte, die ich Siv hätte erzählen können. Aber vielleicht nicht ganz so passend.
Immer noch schweigend stiegen wir die Treppen zu meiner Wohnung hinauf. Plötzlich war ich gar nicht mehr so sicher, ob das hier eine gute Idee war. Doch jetzt konnte ich ihn ja schlecht wieder nach Hause schicken. Oder? Und es war schön, nicht allein zu sein. Ich würde morgen früh Gesellschaft haben zum Frühstück. Selbst wenn es nicht die war, nach der ich mich im Moment so unpassend sehnte. Mir fiel der alte Hippiespruch ein, den meine Mutter damals nach der Scheidung aus einer Zeitschrift ausgeschnitten und an die Klotür gepinnt hatte. If you can’t be with the one you love, love the one you’re with.
Als ich den Schlüssel in der Wohnungstür drehte, fiel es mir plötzlich ein. Der Ficus! Gut, er sah schon deutlich erholter aus. Für die Vorher-Nachher-Geschichte einer Frauenzeitschrift würde er mit seinen fünf frischen Blättchen jedenfalls eine gute Figur abgeben. Aber das konnte Siv ja nicht wissen, solange ich kein »Vorher«-Foto daneben stellte. Was würde er von mir denken, wenn er meine einzige Grünpflanze sah?
Es half alles nichts. Siv durfte auf keinen Fall mein Wohnzimmer betreten.
Das war allerdings gar nicht so einfach. Denn die Tür zum Wohnzimmer stand weit offen, und von der Wohnungstür blickte man direkt hinein. Siv machte einen Schritt in die Richtung. Ich nahm ihn bei der Hand und schüttelte sanft den Kopf.
»Nicht da«, hauchte ich, »hier hinein.«
Und schob ihn in mein Schlafzimmer.
»Oh«, sagte Siv. »Das war direkt.«
»Du siehst, ich lerne von dir.«
Siv setzte sich auf mein Bett. Wo hätte er sich auch sonst hinsetzen sollen? Schließlich bestand das Schlafzimmer aus fast nichts anderem. Fast sah es aus, als wäre das Bett zuerst da gewesen, und dann hätte man das Zimmer drum herum gebaut.
Siv strich seine Hosen glatt, zog seine Flipflops aus und stellte sie ordentlich zusammen. Danach zupfte er die Wäscheklammern von den Hosenbeinen und klemmte sie an die Zehenstege der Schuhe. Schließlich legte er sich auf den Rücken, die Hände auf seinen Bauch und schloss die Augen.
Ich stand vor meinem eigenen Bett und fühlte mich etwas überflüssig.
»Möchtest du etwas trinken?«, fragte ich. Sehnsüchtig dachte ich an die Flasche Sekt im Kühlschrank, die wahrscheinlich täglich tiefer in eine Sinnkrise stürzte. So lange hatte noch keine ihrer Vorgängerinnen darin ausharren müssen. Manchmal, wenn ich den Kühlschrank öffnete, sprach ich beruhigend auf sie ein. Wenn eine besondere Gelegenheit kam, hatte ich ihr versprochen, würde sie schon noch ihren Auftritt bekommen. Schließlich gab es Momente, da musste es ein bisschen rajaz sein.
Siv hatte noch immer die Augen geschlossen.
»Leg dich zu mir«, sagte er.
Da konnte und wollte ich nicht Nein sagen. Auch wenn mir die Flasche ein bisschen leidtat. Aber das konnte warten.
Ich kuschelte mich an ihn und schob vorsichtig eine Hand unter den Saum von Sivs Shirt. Wollte doch mal sehen, wie das bei ihm mit dem Nabelchakra aussah. Ich kam aber nicht weit. Er nahm meine Hand am Handgelenk und öffnete die Augen.
»Nicht«, sagte er, »du musst nichts tun.«
Ich lag da, etwas peinlich berührt. Schon wieder hatte ich etwas falsch gemacht. Es fühlte sich ein bisschen an, als sei ich einem Gott an die Wäsche gegangen. Und das auch noch, ohne vorher um Erlaubnis zu fragen.
»Aber …«
»Nein. Nicht aber. Leg dich einfach hin und entspann dich.«
Brav rollte ich mich in Rückenlage. Das ging. Aber entspannen, wo es gerade wieder spannend wurde? Sivs Nähe, sein Duft, begannen mich schon wieder zu elektrisieren. Der Gedanke an die Flipflops mit den Wäscheklammern rückte
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