Mantramänner
nicht«, sagte er.
»Äh, ja«, stotterte ich, »das habe ich auch gerade gemerkt.«
Houston, wir haben ein Problem. Die Rakete würde heute nicht mehr starten. Nicht zu zweit, aber auch nicht mehr in Solobesetzung. Ich fühlte mich plötzlich nackt. Nicht erotisch nackt, eher so nackt wie in diesen Träumen, in denen man als einziger Mensch ohne Anziehsachen über eine belebte Einkaufsstraße läuft.
»Ich meine, mach dir nichts draus«, sagte ich schnell, »das kann ja mal passieren.«
Siv tat etwas Seltsames. Er legte den Kopf in den Nacken und lachte. Vergnügt wie ein Kind, dem ein guter Streich gelungen war.
Das fand ich nicht nett.
War ja schön und gut, dass er sich von einem einmaligen Hänger nicht aus der Ruhe bringen ließ – aber so komisch war das nun auch wieder nicht. Schließlich ging das auch mich etwas an. Mit einem Mann, der ungefähr so viel innerliche Beteiligung zeigte wie ein Atheist bei der Papstaudienz, schwand auch meine eigene Lust in Rekordzeit. Da konnte er noch so fingerfertig sein. Wie konnte das bloß passieren? Fand er mich denn gar nicht schön? Sexy? Begehrenswert?
»Nein, Evke«, sagte er und legte seine Hand auf meine. »Du hast mich falsch verstanden. Es ging mir darum, dir etwas Gutes zu tun. Deine Nadis, deine Energiekanäle, zu öffnen. Dazu habe ich dein Wurzelchakra angeregt, das ist bei dir ein sehr starkes Zentrum.«
»Wie? Das war gar kein Sex?«
Ich war verdattert. Hatte Bill Clinton am Ende recht gehabt, damals, nach dem Schäferstündchen im Oval Office? Und ich hatte immer geglaubt, dass Sex noch andere Varianten haben konnte als das klassische Steckspiel.
Siv sah mich ernst an. »Sex ist etwas Heiliges. Da werden sehr mächtige Energien ausgetauscht, weil du dabei jemanden ganz und gar in deine Aura eindringen lässt. Dazu braucht es sehr viel Zeit und sehr viel Vertrauen.«
Tatsächlich: päpstlicher als der Papst. Wahrscheinlich hatte der Kollege aus dem Vertrieb recht gehabt. Nicht nur Yogafrauen wollten lieber atmen als Sex haben. Auch die Männer.
»Was stimmt denn mit meiner Aura nicht?«, fragte ich gekränkt.
Siv setzte sich auf, rutschte an den Bettrand und strich mir väterlich über den Kopf. »Keine Sorge«, antwortete er, »mit deiner Aura ist alles bestens. Nur diese große Trauer, die ich darin spüre. Die macht mir ein wenig Sorgen.«
»Ach was«, ich schob seine Hand weg. »Ich? Traurig? Dazu gibt es überhaupt keinen Grund.«
Ich stand auf und machte einen Schritt ans Fenster. Die Häuser gegenüber blickten mit toten Augen in die Nacht. Nur ein einziges Licht brannte. Wieder dieses freundliche Signal in der Dunkelheit. Dort wäre ich jetzt gern gewesen. Oder irgendwo anders. Jedenfalls nicht hier.
Hinter mir hörte ich das Klacken von Wäscheklammern, dann ein leises Quietschen, als Siv von meinem Bett aufstand. Er trat hinter mich und legte eine Hand auf meine Schulter.
»Evke? Möchtest du lieber allein sein?«
Ich nickte. Auch wenn es nur die halbe Wahrheit war. Ich wusste nämlich schon ganz genau, wer mir in dieser Nacht noch Gesellschaft leisten würde. Hatte ich meiner Sektflasche nicht versprochen, dass es eine gute Gelegenheit geben würde? Jetzt war sie gekommen.
»Gut«, sagte er, »wenn das so für dich stimmt.«
Er schlang seinen Arm um mich, drückte mich und gab mir einen Kuss. Auf die Wange.
»Ich möchte, dass du das hier richtig verstehst. Nicht dass du glaubst, ich fände dich nicht anziehend. Aber die Dinge brauchen Zeit, zu wachsen.«
Ich nickte ergeben.
»Deshalb möchte ich dich auch um etwas bitten«, sagte er. Sein Atem kitzelte mein Ohr.
»Das, was wir heute Abend erlebt haben – es bleibt unter uns, ja? Es ist einfach zu zart, um es zu zerreden. Vor allem mit anderen Menschen als mit denen, die es angeht.«
Er war schon fast an der Tür, als mir kalt wurde. Eiskalt. Wieder würde ich allein schlafen, allein aufwachen, und keiner würde mir Latte to go ans Bett bringen. Nicht mal einen »Momente der Entspannung«-Tee.
»Siv?«
»Schlaf schön, Evke. Du weißt, nur im traumlosen Tiefschlaf sind wir unserem wahren Ich am nächsten.«
Ich hörte, wie die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, und wartete noch kurz, um sicherzugehen, dass er weg war. Dann zog ich mir ein unförmiges, blaues Schlafshirt über, ging an den Kühlschrank, entriss der Flasche ihren Korken und schenkte mir ein Longdrinkglas voll Sekt ein. Wenn schon, denn schon.
Die Kohlensäure brannte in meinem Hals wie ein
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