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Mappa Mundi

Mappa Mundi

Titel: Mappa Mundi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justina Robson
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stockfinsteren, vertrauten Schlafzimmer umher und dachte zum ersten Mal, was für ein Glück es sei, seit einem Monat keinen Strom mehr zu haben – sie kannte ihr Haus in- und auswendig und fand sich darin zurecht, ohne etwas zu sehen. Zuerst tastete White Horse nach ihrer Handtasche und fand sie genau dort, wo sie das Ding immer hinlegte. Das Gerät, das sie aus dem Auto gestohlen hatte, kullerte darin, stieß schwer gegen die Brieftasche und den Schnappschlosshalter mit ihrem Pad. Ihre Jeans lang am Fußende des Bettes. White Horse zog sie an und schob die Füße in die Schuhe. Die Jeansjacke hing über der Lehne des Hartholzstuhles. Sie nahm sie, kniete nieder und wand sich hustend hinein. Während sie zur Tür kroch, hielt sie das Gesicht nur zwei Zentimeter über den Dielen, weil es hieß, dass der Rauch so dicht über dem Boden weniger dicht sei. An der Tür hob sie die Hand und tastete nach dem Türgriff, doch als ihre Fingerspitzen das dicke Holz berührten, versengte die Hitze ihr die Haut. Nun konnte sie das Feuer nicht nur riechen, sondern auch hören: Durch den schmalen Spalt unter der Tür drang ein Röhren und Rauschen zu ihr herein, fast wie die Nachwehen einer Explosion, und als sie zögerte, hörte sie ein Krachen aus dem Erdgeschoss und spürte, wie der Boden nachgab.
    Ohne Warnung war ihr übel, furchtbar übel, und mit dem nächsten Atemzug saugte sie sich pures Gift in die Lungen. So schnell sie konnte, wich sie zurück und warf sich über das Bett zum Fenster. Obwohl das Haus auf dieser Seite wegen des abschüssigen Grundstücks höher war, konnte der Sturz nicht zu schlimm sein, und sie würde unverletzt im Gras auf dem Hof landen.
    Nachdem sie das Fenster geöffnet hatte, atmete sie einige Mal tief durch. Sie konnte nicht mit dem Husten aufhören. Ihr war, als hätte sich das Haus vom Boden gelöst und begänne wie ein Boot zu tanzen und zu bocken. Aber noch konnte sie sich bewegen. Sie schwang erst das eine Bein über das Fensterbrett, dann das andere. Ihre Tasche verhakte sich am Fenstergriff. Eine Wolke aus heißer Luft und Asche wogte hoch, an der Außenseite, und hüllte sie in orangene Funken. Heftiger Schmerz fuhr ihr über die bloßen Hände. Vor Erschrecken und Angst zerrte sie hastig an dem Trageriemen. Er löste sich, und sie verlor das Gleichgewicht. Sie wäre kopfüber aus dem Fenster gefallen, hätte sie sich nicht mit dem Hosenboden am Schnapper verfangen. White Horse riss sich die Hose auf und hing einen Augenblick hilflos in der Luft, dankbar für die Nieten und Säume, die ihr in die Haut schnitten. Dann begann sie sich sehr langsam und vorsichtig zu befreien.
    Während sie mit dem zähen Stoff rang, der sie vor einem Absturz bewahrt hatte, glaubte sie draußen jemanden rufen und schreien zu hören, der einen wilden Tanz in ihrem Gemüsebeet vollführte. Alles drehte sich um sie. Plötzlich riss der Stoff, und White Horse sackte hinunter. Sie scharrte mit der Vorderseite über die Fensterbank und keuchte, als ihr dieser neuerliche, gemeine Schmerz durch Brüste und Rippen fuhr.
    Tief in den alten, ausgetrockneten Innereien des betagten Hauses erlag ein tragendes Teil den Flammen. White Horse spürte, wie die Wand und mit ihr der Fensterrahmen sich langsam einwärts neigte, und über sich hörte sie ein ohrenbetäubendes Krachen: Das Dach stürzte ein.
    White Horse schnappte nach Luft und schleuderte mit zitternden Händen die Tasche in die Dunkelheit. Ihre Augen tränten und schienen zu bluten. Sie konnte nicht mehr richtig sehen. Die Luft war stickig, als sie sich mit aller Kraft abstieß, weg vom Haus und in die Luft mit den Spiralen aus gelben und orangefarbenen Funken.
    Sie hatte die Knie angezogen, um sich beim Aufprall abzurollen, doch ihr Sturz endete früher, als sie gedacht hatte. Wie zwei schwere Betonblöcke prallten ihre Füße auf den Boden, und ein stechender Schmerz schoss durch ihre Knie und die Hüften, während sie sich schreiend über den kalten Boden zur Seite rollte. Keuchend versuchte sie, genügend Luft einzuatmen, um nach Hilfe zu rufen, als sie den eigenartigen Geruch bemerkte, und ihr fiel auf, dass sie nass war – dass sie vor Nässe triefte.
    Sie wollte schreien, doch ihr versagte die Stimme. Statt des erwarteten kräftigen Gebrülls bekam sie nur ein leises Froschquaken heraus. Ein Spuckeklümpchen schabte ihr so schmerzhaft über die Kehle, als hätte eine Katze sie ihr zerkratzt. Dann hörte sie jemand.
    Irgendwo in den wirbelnden Rauchwolken

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