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Mappa Mundi

Mappa Mundi

Titel: Mappa Mundi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justina Robson
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aschgraue Gesicht hielt und über ihre eigene Schläue grinste.
    White Horse holte mit der Latte aus. Sämtliche Nägel senkten sich mit einem misstönenden Knirschen in das Lächeln der alten Frau, und die Latte rutschte White Horse aus den Fingern.
    Martha Johnson sank lautlos zusammen, ohne auch nur zu versuchen, sich mit einem erhobenen Arm zu schützen.
    White Horse kreischte, und das Feuer stürzte sich eifrig in ihren Mund und in ihren Schlund, um sie zu ersticken. Jetzt erst bemerkte sie, dass sie zu brennen begann, und der Schmerz war unglaublich, unerträglich.
    Etwas riss sie zu Boden, rollte sie in die Erde und drückte sie platt.
    Vier Stunden später erwachte sie in Billings auf einem Krankenhausbett, aber es dauerte noch zwei Tage, bis sie wieder richtig sprechen konnte. Während dieser Zeit entschied sie, dass sie es nicht mehr für sich behalten konnte. Sie besaß das Gerät, das für die Toten und die Gewalt verantwortlich war. Damit umgehen konnte sie nicht, aber sie wusste, was für ein Apparat es war, und sie wusste auch, dass die Männer, die ihn benutzt hatten, für die Regierung arbeiteten: Sie hatten sich in dem Imbiss darüber unterhalten, in dem White Horse kellnerte.
    White Horse würde ihren Halbbruder anrufen müssen. Wie gut, dass sie so viel Zeit hatte, alles genau zu durchdenken – sie hatte Zeit, sich zu überlegen, wie sie es anfangen sollte, jede einzelne Möglichkeit durchzuspielen, und sie alle zu verwerfen. Kein lausiger Pad-Anruf konnte ihr Verhältnis so rasch kitten.
    Eine Woche später verließ sie das Krankenhaus auf eigene Verantwortung und nahm Abschied von ihren Freunden. Die Tasche behutsam in einem neuen Rucksack verstaut, mit Kreditkarte bezahlte Kleidung am Leib und mit Schulden, die sie nie begleichen würde, machte sich White Horse auf den Weg nach Washington. Das Gerät in ihrer Tasche sah nicht so aus, als wäre es zu beschädigt, um noch zu funktionieren. Was immer es war, Jude würde es wissen. Er würde ihr helfen. Das musste er.
    Als sie im Bus saß, blickte White Horse in ihren Handspiegel und musterte ihr Spiegelbild. Ihr langes Haar war verschwunden; sie trug nun eine Afro-Frisur mit vielen kleinen Zöpfchen, die verbarg, dass ihr Haar zum größten Teil falsch war. Komisch, dachte sie und kicherte heiser in sich hinein. Eine Cheyenne, die sich als Schwarze tarnte. Wie ihr Bruder hatte sie nun zwei Gesichter.

 
1
     
     
    »Wo, zum Teufel, waren Sie so lange? Zehn Minuten hänge ich jetzt schon in Ihrer Scheiß-Warteschleife, und niemand hält es für nötig, auch nur ein Wort mit mir zu reden. Das soll ’ne Hilfe sein? Ich könnte mir schon eine Kugel in den Kopf gejagt haben – das wär euch wohl auch egal. Für wen haltet ihr euch eigentlich? Wisst ihr, was ihr seid? Ein Haufen zimperlicher, hohlköpfiger kleiner Scheißer, die sich für was Besseres halten und uns sagen wollen, was wir denken sollen und was wir tun sollen und wie viel wir trinken dürfen und dass wir keine Drogen nehmen dürfen und dass wir kein Recht haben, uns wohl zu fühlen – ihr habt uns überhaupt nichts zu befehlen! Ich weiß, ihr glaubt, ihr könnt uns herumkommandieren. Ja, das glaubt ihr wirklich gern! Ihr haltet euch für eine beschissene Elite und guckt aus eurem beschissenen Elfenbeinturm auf uns runter, was? Na, ich werde euch was erzählen über das wirkliche Leben, auch wenn es in euren Theorien und eurem klugen Geschwafel nicht vorkommt. Wisst ihr, was ihr wisst? Nichts wisst ihr. Kein beschissenes Bisschen …«
    Ein tiefer Atemzug ist ein reinigender Atemzug, dachte Natalie, atmete tief durch und blies die Luft langsam wieder aus. Die Schimpfkanonade ging ohne Pause und ohne an Lautstärke einzubüßen noch eine geschlagene Minute weiter. Beim Warten malte Natalie ein wütendes Gesicht auf das Display ihres Pads, versah es mit stachlig abstehendem Haar und hervorquellenden Augen sowie einem großen brüllenden Mund, aus dem ein ganzer Schwarm wütender Bienen quoll.
    Nach einem solchen Tag, wie sie ihn heute hinter sich hatte, waren ein paar Stunden Zusatzdienst am Sorgentelefon der Klinik eigentlich das Letzte, was sie sich wünschte, dennoch empfand sie eine Art Geistesverwandtschaft mit dem Anrufer. Der Mann war so stinkwütend, wie sie selbst es den ganzen Tag über gewesen war, nur dass sie sich das Fluchen verkneifen musste. Kaum hörte sie ihn nun schimpfen wie einen Rohrspatz, als sie sich ein bisschen besser fühlte. Und in gewisser Weise hat er sogar

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