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Mappa Mundi

Mappa Mundi

Titel: Mappa Mundi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justina Robson
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Recht, dachte sie. Sie war klinische Psychologin mit sozialwissenschaftlicher und nanotechnischer Zusatzqualifikation, und trotzdem war sie oft völlig ahnungslos, wenn es darauf ankam. Andererseits floss sie womöglich auch nur vor Selbstmitleid über, weil ihr Vater ihr ins Gesicht gesagt hatte, ihre Arbeit sei für ihn nichts weiter als abergläubischer, gefährlicher Blödsinn, der auf unwissenschaftlich erlangten, nicht repräsentativen Daten und Wolkenkuckucksheimdenken beruhe.
    Als der Anrufer innehielt, um Luft zu holen, sagte Natalie, ohne es laut aussprechen zu wollen: »A-men!«
    Einen Augenblick lang herrschte verblüfftes Schweigen.
    »Entschuldigen Sie, entschuldigen Sie bitte!« Hastig löschte sie den strengen Geistlichen aus, den sie gezeichnet hatte. Er stand in einer Kanzel, die seinem eigenen zornigen Haar entspross. »Ich habe wirklich einen miesen Tag hinter mir. Nun, was wollten Sie sagen?«
    Danach klang die Schimpftirade des zornigen Mannes ein wenig kleinlaut. Am Ende begann er zu erzählen, wie sehr er die Kinder vermisse, die mit seiner Exfrau nach Australien ausgewandert seien, und dass er zu viel trinke und nachts unter der Bettdecke Schokolade esse, und dass er im Schein einer Taschenlampe Wonder-Woman-Hefte lese, weil er sonst nicht einschlafen könne. Während er sprach, wurde seine Stimme schrittweise sanfter, bis sie vom schroffen Schmerz eines stoischen Mannes in die enttäuschte Hilflosigkeit eines kleinen Jungen umgeschlagen war.
    Natalie nahm die vorgeschriebenen Einträge im Anrufprotokoll auf dem Bildschirm vor und trocknete sich das Gesicht mit dem gleichen unappetitlichen Stück Küchenpapier ab, mit dem sie zuvor verschütteten Kaffee aufgewischt hatte. Mit dem letzten trockenen Eckchen putzte sie sich die Nase und warf das widerliche Ding in den Mülleimer. Einen Augenblick herrschte selige Stille.
    »Gute Nacht, Dr. Armstrong!«, rief die letzte der Tagschwestern, als sie an der offenen Tür zum Sorgentelefon-Büro vorbeiging. Natalie erwiderte den Gruß, gähnte und dachte, sie könnte sich eigentlich noch einen Kaffee holen – bald würde Rita kommen und die Schicht übernehmen, und dann durfte sie endlich nach Hause.
    Das Telefon klingelte. Natalie hob ab. Eine Frau war am Apparat und schilderte fünf Minuten lang in epischer Breite die Wutanfälle ihres Sohnes, die allmählich unerträglich würden, obwohl die Sache in Natalies Ohren unfassbar langweilig klang. Währenddessen flackerte das Schaltbrett vor ihr dringlich, und ihr war, als sickerte der Lebenswille aus ihr heraus. Ob Natalie ein Medikament wisse, fragte die Frau, von dem ihr Sohn ruhiger und vernünftiger würde, und das sie ihm verschreiben lassen könnte?
    Wenn es so etwas gäbe, ging es Natalie durch den Kopf, würden wir es dann nicht alle nehmen?
    Sie schrieb die Antwort in eine Sprechblase und ließ sie von einer Gottesanbeterin aussprechen.
    Natalie begann: »Ich weiß, diese Erfahrung kann sehr schrecklich sein, aber wenn Sie sich einmal in seine Lage versetzen …«
    Während sie sprach, schweiften ihre Gedanken völlig ab und sagten: »Haben Sie es schon mal erlebt, dass Sie sich wirklich bemühen, jemandem klar zu machen, was in Ihnen vorgeht, und trotzdem nicht verstanden werden? Egal, um was es geht, mittendrin merken Sie plötzlich, dass dieser Jemand Sie nie verstehen wird, und aus heiterem Himmel bekommen Sie das schreckliche Gefühl, ganz und gar allein zu sein? Aber ›allein‹ trifft es noch gar nicht richtig. Es ist eine Art kosmisches Fahr zur Hölle, es gibt keinen Gott, und wenn es einen gäbe, würde er dich nicht bemerken. Solch ein Alleinsein. Sie sprechen mit einer Wand. Sie geben Laute von sich, die für kein einziges anderes Lebewesen auf der Erde etwas bedeuten.«
    Die Anruferin sagte widerstrebend: »Nun … ja, genauso ist es. Er ist überhaupt keiner Vernunft zugänglich. Aber vielleicht kann er das auch gar nicht sein, wie Sie sagen …«
    In Gedanken fuhr Natalie fort; die Rationalisierung der Mutter blendete sie aus.
    »Und gleich darauf verlieren Sie endgültig den Boden unter den Füßen, weil Sie selber nicht mehr wissen, was Sie gerade eigentlich sagen wollten. Nur weil dieser verfluchte Idiot Ihnen nicht zuhört, haben Sie für immer den Faden verloren, und es ist, als würden Sie gar nicht existieren. Darum bekommen Zweijährige ihre Wutanfälle, denn Sie haben den letzten Teil noch nicht kapiert – sie halten sich noch für den Nabel des Universums. Und darum

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