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Mappa Mundi

Mappa Mundi

Titel: Mappa Mundi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justina Robson
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lange brauchen. Sie wissen also, wie lange Sie reden können. Ich müsste eigentlich in einer Besprechung sitzen und habe keine Zeit für Spionagegeschichten, Erpressungen oder Irrsinnsstorys, die Sie vielleicht im Sinn haben. Also vergessen Sie nichts – Verlängerung bekommen Sie keine.«
    Jude rieb sich das Gesicht. Plötzlich befielen ihn Zweifel, ob er sie überzeugen könnte; er fragte sich sogar, ob sein Material auch nur ihre Verachtung wert sei. Die angestaute Erschöpfung der letzten zweiundsiebzig Stunden erfasste ihn und lähmte seine Glieder, doch er nahm sein Pad heraus und zeigte ihr das Display. Unbeholfen rief er ein Foto ab, und sie musterte es mit gelangweiltem Gesicht.
    Er brauchte eine Sekunde, um zu merken, dass ihr Verhalten ihn ärgerte, was ihm die Energie verschaffte, nachdrücklich zu sagen: »Das sind meine Schwester und ich im Alter von siebzehn und achtzehn.«
    »Hm.« Sie musterte sein Gesicht. Ihr Blick strich darüber hinweg, als suchte sie in einem Porträt nach Ähnlichkeiten.
    Jude wies auf den Schirm. »Das ist ihr Haus. Dahinter sehen Sie Deer Ridge. Hier an dieser Linie verläuft die Grenze des Reservats, und hier«, er änderte die Perspektive, »haben wir den Ort Deer Ridge selbst. Eine Bar, ein Bingoschuppen, Läden, Tankstelle. Eine typische amerikanische Kleinstadt.«
    »Mm-hmm.« Noch immer hörte sie ihm zu, doch sie achtete viel mehr auf sein Gesicht als auf das Pad. Vielleicht hielt sie ihn für verrückt. Das hatte er selbst schon geglaubt.
    »So sieht ihr Haus heute aus.« Er zeigte ihr das Polaroid-Foto aus seiner Tasche.
    Armstrong nahm es und betrachtete es genau. Ihre linke Braue senkte sich kurz zur Andeutung eines Stirnrunzelns. »Hässlich. Ich hoffe, sie war nicht drin?«
    »Nein. Das heißt, nicht ganz.« Er schaltete die Bildfolge auf dem Pad um; seine Finger wanderten ungeschickt über das Tastenfeld. Seine Stimme drohte zu schwanken, und er musste scharf durchatmen. »Und das ist die Brandstifterin.«
    Beide blickten auf das Foto einer freundlichen Indianerin in mittleren Jahren, die eine farbenfrohe Weste und Jeans trug. Sie lächelte in die Kamera und hielt ein stämmiges braunes Pony am Zügel, auf dem ein Kind mit dem Rücken nach vorn ritt.
    »Sie heißt Martha Johnson, und sie wohnt … wohnte halb im Reservat, halb außerhalb, weil sie zwei Läden in der Stadt hatte und seit fünfundzwanzig Jahren Lieferungen frei Haus machte. Vor drei Wochen bekam sie Besuch von einigen Regierungsleuten – sie behaupteten, sie wären vom FBI, aber das stimmt nicht. Sie waren auf der Durchreise und suchten nach einigen der jungen Unruhestifter – Sie wissen vielleicht, dass es Spannungen zwischen den roten Jugendlichen und den anderen gibt, das Übliche halt, aber neulich hat jemand nach dem Footballspiel der Highschool die Tribünen verwüstet, und sie schieben sich gegenseitig die Schuld in die Schuhe. Egal.« Er bemerkte, dass ihm die Zeit knapp wurde und Natalie Armstrongs Gesicht noch immer keinen Ausdruck zeigte, der über Höflichkeit hinausging.
    »Kaum sind die angeblichen FBI-Leute fort, wird Martha immer aufgeregter. Als man sie tot in einem der ausgetrockneten Flussbetten findet – sie hat sich mit ihrer eigenen Pistole Kaliber 22 erschossen, nicht sehr gekonnt, es dauerte ein paar Stunden, bis sie starb –, hat sie drei Leute erstochen und fünf Häuser niederzubrennen versucht, darunter das meiner Schwester. Außerdem hat sie neun Hauskatzen und zwei Hunde angeschossen – die Hunde überlebten beide – und ihren Mann. Sie war einundzwanzig Jahre verheiratet, fünf Kinder. Eins auf dem College, eine im Gefängnis, drei mit guten Jobs. Das hier auf dem Foto ist Georgie – die, die im Gefängnis sitzt. Der Ehemann lag sechs Stunden lang auf dem Operationstisch, kam aber nicht durch.«
    Er hielt inne, um Luft zu holen, und riskierte noch einen Blick auf sie. Die Hand, mit der er das Pad hochhielt, wurde vor Anspannung weiß und taub.
    Dr. Armstrong hob die Augen zu ihm, und Jude beobachtete, wie ihr rascher Verstand hin und her wendete, was er gesagt hatte, und dabei bereits jenen Punkt suchte, an dem sie ins Spiel kam, und nach dem alles entscheidenden Hinweis Ausschau hielt. Wenigstens hoffte er es.
    Er zwang seine blutleere Hand, sich zu bewegen, und ließ eine Galerie von Polizeifotos indianischer, weißer und schwarzer Gesichter über das Display laufen, einige davon die Gesichter von Leichen. Dabei nannte Jude die zugehörigen Namen. »Alle

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