Mara und der Feuerbringer Band 2 - Das Todesmal
mach ich denn jetzt, was mach ich denn jetzt, raste es durch Maras Hirn, während ihre Mutter sie erwartungsvoll ansah.
Da kam ihr ausnahmsweise mal der Zufall zur Hilfe, denn nun wachte der Professor auf und machte dabei ein Geräusch, als hätte er gerade ohne Sauerstoffflasche nach Perlen getaucht.
»Houuuahhh…«, machte er und riss dabei den Kopf so ruckartig hoch, dass er mit dem Hinterkopf gegen die Wand prallte und mit dem Ellbogen eine Vase auf dem Fensterbrett bedrohlich zum Wanken brachte.
»Au, ja varreck!«, stieß Professor Weissinger überraschend bayrisch hervor, während er unbeholfen versuchte, die Vase zu stabilisieren. Es gelang ihm zwar, das Gefäß aufzufangen, aber nicht die Blumen und das Wasser.
Die Damen links und rechts neben ihm quittierten es mit einem Quietschen und der Professor hielt sich mit einer Hand den Kopf, während er mit der anderen die Blumen aufsammelte und mit recht wenig Kompositionswillen zurück in die Vase stopfte.
»Wollen Sie vielleicht Ihre Erfahrungen als Erster mit uns teilen?«, rief Dr. Thurisaz dem Professor fröhlich zu. »Offensichtlich hat das Ganze ja einigen Eindruck hinterlassen, wenn Sie nun nicht mal mehr wissen, wo bei Blumen oben und unten ist.«
Die Wiccas kicherten, der Professor nicht. Stattdessen zog er betont spitzfingerig die Blumen wieder aus der Vase, die er mit dem Stängel nach oben drapiert hatte. Dabei musterte er Thurisaz mit einem seltsamen Blick, den Mara an ihm noch nie gesehen hatte. Doch schließlich sagte er etwas und Mara verstand mal wieder kein Wort. »Ahmad ibn Fadla ˉ n ibn al-’Abba ˉ s ibn Ra ˉ schid ibn Hamma ˉ d.«
Dr. Thurisaz war anzusehen, dass er ebenso wenig wusste, wovon der Professor sprach, wie alle anderen.
Aber Professor Weissinger ließ sie nicht lange warten. »Ich war Ibn Fadla ˉ n, Gesandter des Kalifen al-Muqtadir im Jahr 921 nach Christus und Verfasser des berühmten Reiseberichts zu den Wolgabulgaren und warägischen Rus. Wie auch immer Sie das gemacht haben, ich danke Ihnen für diese Erfahrung und würde jetzt gerne mein Zimmer aufsuchen, um über das Erlebte nachzudenken. Bis morgen.«
Und mit diesen Worten verließ Professor Weissinger doch glatt die Gaststube. Im Vorbeigehen warf er Mara einen kurzen Blick zu, der nichts anderes hieß als »Wir müssen reden!«.
Mara hatte sich natürlich nicht einfach so verabschieden können, wie es der Professor getan hatte. Sie musste erst einmal alle Schilderungen der Wiccas abwarten. Im Gegensatz zu den bisherigen Seminaren war es aber diesmal sogar richtig spannend zuzuhören. Eine der Wiccas musste mit den Tränen kämpfen, als sie schilderte, was sie durch die Augen eines Mädchens in Maras Alter mit ansehen musste: Man schleppte ihre Mutte r – eine Wäscherin mit dem Namen Ursula Gatte r – fort, um ihr den Hexenprozess zu machen.
Walburga war angeblich in eine alte, gütige Frau geschlüpft, die den Menschen mit ihrer Weisheit half, wo sie nur konnte. Sie erzählte begeistert, wie sie mit einem Häuschen auf riesigen Hühnerbeinen hinter einer jungen Frau hergerannt war, um diese zu beruhigen. Mara war zwar nicht klar, wie man jemanden beruhigen wollte, indem man ihn mit einem Haus auf Hühnerbeinen durch den Wald jagte, aber andererseits war es ihr auch ein ganz kleines bisschen egal.
Allerdings waren alle inklusive Mara sehr überrascht, als Dr. Thurisaz zu den Schilderungen nichts weiter beizutragen hatte als: »Na, dann wünsche ich Ihnen allen einen schönen Nachmittag, vielleicht gehen Sie ja noch ein bisschen spazieren, denn hier ist es wirklich ganz wunderhübsch.« Dann packte er seine Zeitung und das Pausenbrötchen in die Tasche. »Direkt am Starnberger See gibt es ein tolles Fischrestaurant. Fragen Sie doch mal vorne an der Rezeptio n – ich hab den Namen leider vergessen. Irgendwas mit Starnberg, See und Fisch. Bis morgen!«
»Aber, abe r … «, stammelte Walburga. »Was ist denn mit der Nachbereitung?«
»Welche Nachbereitung? Davon steht nichts im Seminarprogramm, meine Liebe«, lachte Thurisaz und ließ die Verschlüsse seiner Ledertasche lautstark einschnappen.
Vor allem Maras Mutter war sichtlich enttäuscht. »Soll das heißen, Sie wollen uns nicht helfen, die Erfahrungen zu deuten?«
»Wie könnte ich«, erwiderte Dr. Thurisaz, während er in seine Jacke schlüpfte. »Ich bin hier nur das Reisebüro. Sie fahren in den Urlaub und nicht ich. Und was Sie da erleben, geht mich nichts an. Abgesehen davon habe ich,
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