Mara und der Feuerbringer
aufstehen konnte, um nachzusehen, war ihre Mutter schon im Flur.
»Ja bitte, wer ist da?«, fragte sie über die Gegensprechanlage.
Die Stimme, die nun blechern aus dem kleinen Lautsprecher quäkte, ließ Mara gleichzeitig erschrocken zusammenzucken und freudig die Augen aufreißen.
»Äh, Weissinger mein Name. Professor Rudolf Weissinger von der Uni München. Ich würde gerne mit Mara Lorbeer sprechen, wenn das möglich ist.«
Kapitel 9
M ara sprang sofort auf. Im ersten Moment wollte sie ihrer Mutter sagen, dass sie den Mann gar nicht kannte und sie ihn wieder wegschicken sollte. Doch plötzlich überlegte Mara es sich anders, setzte sich wieder hin, versuchte sich an einer betont lässigen Pose und schlug dafür ihre Beine etwas zu krampfhaft übereinander. Da hörte sie die Stimme von Professor Weissinger im Flur, sprang doch wieder auf, vergaß dabei aber leider, vorher die Beine zu entknoten.
Als der Professor von Mama ins Wohnzimmer geführt wurde, lag Mara auf dem Boden und versuchte, so zu tun, als würde sie einen Ohrring suchen.
»Ich suche nur einen Ohrring«, sagte die ohrlochlose Mara.
Mama schaute ihre Tochter mit einem seltsamen Blick an, und Mara duckte sich bereits unter einer Serie von noch peinlicheren Momenten als diesem gerade eben.
Doch es sollte mal wieder völlig anders kommen, als Mara erwartet hatte, und später würde sie über diesen Moment sagen, dass sie ab dieser Sekunde einfach beschlossen hatte, nichts mehr zu erwarten, da sie ja eh immer falsch lag.
»Entschuldigen Sie die Störung«, sagte der Professor. »Aber leider kam die Post an Ihre Tochter immer wieder zu uns zurück.Anscheinend hat jemand eine falsche Hausnummer aufgeschrieben. Naja, kann passieren, und da ich in der Nähe wohne, dachte ich mir, komme ich eben persönlich vorbei.« Damit griff er nach Maras Hand und schüttelte sie so heftig, als wolle er mit der Bewegung Strom für eine Fahrradlampe erzeugen. Währenddessen sah er ihr verschwörerisch in die Augen und sprach mit lauter Stimme: »Herzlichen Glückwunsch, Mara Lorbeer, zum ersten Platz in unserem Wettbewerb
Münchner Schulen zur germanischen Mythologie
! Dein Aufsatz hat uns alle sehr überzeugt. Somit hast du einen einwöchigen Aufenthalt an einer Ausgrabungsstätte gewonnen, wo du den Archäologen nicht nur über die Schulter schauen, sondern auch noch richtig mitarbeiten kannst!«
Endlich hörte Professor Weissinger auf, Maras Hand zu schütteln, und das war gut so, denn sie hatte davon bereits Schmerzen in der Schulter.
Mara hatte einen Moment gebraucht, um sich zu sammeln. Aber sie ahnte, dass der Professor sicherlich seine Gründe für dieses Schauspiel hatte. Also setzte sie eine Art überraschtes Lächeln auf, machte große Mädchenaugen und rief etwas zu laut: »Echt? Das ist ja der Hammer! Mama, ich hab gewonnen!«
Völlig un-Mara-haft sprang sie zu ihrer Mutter, umarmte sie und fragte dann scheinheilig: »Oh, hab ich dir davon gar nichts erzählt?«
»Äh, nein, ich glaube nicht«, antwortete Mama zögernd.
Ja, die Idee des Professors war großartig. Welche Mutter war nicht stolz darauf, dass ihre Tochter einen Preis gewann? Noch dazu einen von einer Universität! Und bevor Mama weitere Fragen stellen konnte, gab sich Professor Weissinger alle Mühe, möglichst viele davon im Voraus zu beantworten. »Ihre Tochter hat vor ein paar Wochen in ihrer Schule einen Aufsatz für unseren Wettbewerb abgegeben, in dem sie über die Sagen und Mythen um den germanischen HalbgottLoki schreibt. Das alles hat sie sehr lebendig und fundiert geschildert. Ihre Schlussfolgerung hat uns besonders gut gefallen.«
»Oh, danke, das freut mich sehr«, sagte Mara.
»Aber gern«, sagte der Professor.
»Welche Schlussfolgerung denn?«, sagte Mama.
Mist, dachten Mara und der Professor gleichzeitig. Doch Mara war selbst überrascht, als sie sich antworten hörte: »Ich habe geschrieben, dass wir heute immer nur so viel wissen können, wie die Wissenschaft erforscht hat! Und als Beispiel habe ich den germanischen Halbgott Loki genommen, der ja angeblich der Erfinder des Fischernetzes ist. Ich habe mich gefragt, was wäre, wenn ein suebischer Fischer hundert Jahre nach Christus schon an ihn geglaubt hätte! Denn dann hätte er sich diesen Halbgott doch bestimmt auch mit einem Suebenknoten im Haar vorgestellt, wie er selbst einen hat, oder? Und wenn man bis heute noch keine Steine mit Loki-Bildern aus dieser Zeit ausgegraben hat, heißt das noch lange nicht,
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