Mara und der Feuerbringer
irritiert zu. Was hatte das zu bedeuten? Sie spürte ein leichtes Kribbeln am ganzen Körper, so als würde etwas von ihr kontinuierlich Energie abzapfen. Nicht so viel, dass Mara gleich umkippen würde. Aber doch so spürbar, dass sie wusste, dass es nicht zu lange dauern durfte. Aber – was eigentlich?
Sie schaute wieder zu Larissa und konnte nicht glauben, was sie da sah. Völlig überfordert starrten auch die Ziegen nach unten auf ihre Anführerin und sahen zu, wie Larissa versuchte, etwas zu sagen. Aber immer wieder scheiterte sie an ihrem panisch klappernden Unterkiefer. Mit ausgestrecktem Finger zeigte sie dabei auf den kleinen Jungen. Doch ihr Arm zitterte so sehr, dass es eher so aussah, als hätte sie Albträume vom Tafeldienst. Endlich schaffte sie es, ein paar Buchstabenzwischen ihren bibbernden Lippen hervorzupressen: »S… Sp… Spipi…!«
Mara drehte den Kopf in Richtung des Jungen und sah nun endlich, wovor Larissa so eine panische Angst hatte.
Der kleine dicke Junge sah nämlich gar nicht mehr aus wie ein kleiner dicker Junge. An seiner Stelle stand nun auf acht flaumig-blond behaarten Beinen eine kleiner-dicker-Junge-große geifernde Tarantel und starrte mit tiefschwarz glänzenden Spinnenaugen auf Larissa.
Die Tatsache, dass die Spinne nach wie vor den hellblauen Schal und die Bommelmütze trug, machte den Anblick nicht gerade erträglicher. Das Erstaunlichste daran aber war, dass anscheinend nur Larissa und Mara die Spinne sahen. Larissas Clique und auch die ersten schaulustigen Schüler starrten nur auf das panische Mädchen auf der Wiese, während sie den kleinen Jungen nicht einmal beachteten.
Larissa aber stand trotz des kühlen Wetters der Angstschweiß auf der Stirn und der Horror ins Gesicht geschrieben.
Okay, das ist genug, dachte Mara, aber irgendetwas hielt sie mit aller Macht davon ab, die Sache jetzt zu beenden. Der Junge selbst konnte natürlich nicht wissen, was hier geschah. Er sah nur, dass das Mädchen, das ihn eben noch ausgelacht hatte, jetzt vor ihm davonkroch und dabei ihre weiße Jeansjacke mit Grasflecken garnierte.
Mara bemerkte, dass es dem Jungen anscheinend auch gar nicht so wichtig war,
warum
Larissa plötzlich solch eine Angst vor ihm hatte. Viel bedeutender schien ihm,
dass
dem so war. Und darum beschloss er wohl kurzerhand, diesen Moment so gut es ging auszukosten, bevor er vielleicht nie wiederkehrte, und machte testweise ein paar Schritte auf Larissa zu.
Die steckte gerade mit einem Absatz zwischen Wiese und Randstein fest und begann nun so gellend laut zu kreischen, dass Mara sich die Ohren zuhalten musste!
Das reicht!, dachte Mara. Doch nichts geschah. Warum tue ich nicht, was ich tun will?, fragte sie sich, und ein wachsendes Gefühl der Machtlosigkeit breitete sich in ihr aus. Stopp!, hörte sie sich in ihrem Kopf rufen, aber nichts änderte sich. Larissa kreischte immer noch!
Inzwischen hatte sich um sie eine dicht gedrängte Traube von Schaulustigen versammelt. Allerdings lachte kaum einer, denn die Szene war einfach viel zu bizarr, um lustig zu sein. Nur ein paar besonders abgebrühte Zuschauer hatten ihr Handy gezückt und machten relativ ungerührt Fotos von Larissa, wie sie sich vor einem Fünftklässler auf der Wiese rollte und dabei aussah, als würde ein T. Rex nach ihren Beinen schnappen.
Genug!, dachte Mara. Verdammt noch mal, Schluss damit! Wie gelähmt musste sie zusehen, als sich die gigantische Tarantel auf Larissa zubewegte! Schließlich blieb das Monster einen halben Meter vor seinem scheinbaren Opfer stehen und beugte sich dann zu ihm herunter. Bald waren seine klebrigen Fresswerkzeuge nur noch ein paar Zentimeter von Larissas Nase entfernt. Die hatte sich jetzt wimmernd auf dem Boden zusammengekauert und so klein gemacht, dass die Spinne sie vermutlich mit einem einzigen Happs hätte verschlucken können. Doch die Tarantel tat nichts dergleichen. Stattdessen machte sie etwas äußerst Unspinnenhaftes, und zwar ein Geräusch.
Denn der Junge sagte: »Buh.«
Larissa verdrehte die Augen und wurde ohnmächtig. Endlich, endlich spürte Mara erleichtert, wie sich die seltsamen Kräfte wieder in ihr Innerstes zurückzogen.
Ob Larissas Ohnmacht der Grund für das Ende der Vision war oder umgekehrt, konnte Mara nicht sagen, und das fühlte sich überhaupt nicht gut an. Denn es bedeutete, dass Mara ihre Fähigkeit nichtwirklich unter Kontrolle hatte. Eigentlich wirkte es auch eher so, als hätte die Fähigkeit
Mara
unter Kontrolle
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