Mara und der Feuerbringer
überlegen! Sigyn ist beim Feuerbringer gefangen und hat keine Holzschale mehr, um sich vor ihm zu schützen! Sie hat mich gerettet und dafür werde ich sie jetzt befreien. Äh … irgendwie. Abgesehen davon wird sich Loki früher oder später vielleicht ganz losreißen, und wenn er dann erfährt, dass seiner Frau doch noch was Schlimmes passiert ist, weil wir zu lange beim Spazierengehen rumüberlegt haben, dann bin ich diejenige, die ihm das erklären muss, und nicht Sie, Herr Professor!«
Stille trat ein. Eine Weile war nichts zu hören, außer ein paar Vögeln und dem Rauschen der Bäume im Wind.
Mara bemerkte, wie ein prächtiger Hirsch zu ihnen auf die Lichtung trat, sie beide völlig ohne Scheu und seltsam unhirschig musterte, bevor er majestätischen Schrittes zwischen den hohen Nadelbäumen im Schatten verschwand. Komisches Tier, dachte Mara. Hätte mich nicht gewundert, wenn er uns gefragt hätte, ob wir uns verlaufen haben.
Der Professor war der Erste, der das Schweigen brach: »Also gut. Mag sein, dass du recht hast, Mara Lorbeer. Aber ich würde wenigstens zur Vorsicht raten wollen, denn wenn man die Sage von Siegfried und den Nibelungen schräg hält, läuft unten literweise das Blut heraus, und es wäre mir lieb, wenn sich unseres nicht daruntermischt.«
Dann sah er sich um, sog die frische Waldluft geräuschvoll durch die Nase ein und hielt einen Moment mit geschlossenen Augen die Luft an. Schließlich ließ er sie wieder entweichen und musterte Mara mit dem gewohnt schalkhaften Blick, den sie so an ihm mochte.
»Also? Wo lang?«, fragte er und wirkte dabei tatendurstig und neugierig.
Mara wollte gerade antworten, dass sie keinen blassen Schimmer hatte, als das Echo eines tiefen Grollens an ihr Ohr drang. »Ich glaube, da lang«, sagte sie und deutete überflüssigerweise mit dem Daumen über ihre Schulter.
Der Professor sah Mara an, als würde er gleich »Ach was, eeeeecht jetzt!?« rufen. Stattdessen seufzte er und stapfte nun so entschlossen los, dass Mara Mühe hatte, mit ihm Schritt zu halten.
Die Atmosphäre dieses Waldes hatte etwas Majestätisches. Schweigend gingen Mara und der Professor nebeneinander her. Plötzlich veränderte sich die Beschaffenheit des Bodens. Waren sie eben noch auf weicher Erde gelaufen und über dichtes Wurzelgeflecht gestiegen, wurde es nun zunehmend steiniger. Immer öfter mussten die beiden größere Felsen umgehen, die wie mahnende Zeigefinger aus dem Boden ragten, so als hätte eine gigantische Hand von unten die Erdkruste durchstoßen.
Schließlich gelangten sie an einen felsigen Abhang, von dem aus man eine Senke überblicken konnte. Sie war mit kristallklaremWasser aus einem Gebirgsbach gefüllt und an ihrem nördlichen Ende erhob sich ein kuppelartiger Felsenberg mit einer gähnenden Höhle.
Überraschend hielt Professor Weissinger Mara am Arm fest und zog sie zurück hinter einen Baum: »Stopp. Wir gehen auf keinen Fall da hinunter, Mara! Wenn gleich das passiert, was ich vermute, dann wollen wir lieber hier oben sein und zusehen! Und ein wenig Information wird doch vorher hoffentlich erlaubt sein, bevor du dich deinem neuen Schwarm vorstellst, oder nicht?«
Der Professor war offenbar immer noch ziemlich angefressen. Trotzdem konnte sich Mara nicht zurückhalten und antwortete ebenso spitz: »Noch ist er ja nicht da. Also bitte, gerne.«
»Nun denn, wie mir scheint, ist das die Höhle des Drachen
Fafnir
, was auf Deutsch in etwa
Der Umarmer
bedeutet. Meiner Meinung nach ist das übrigens ein sicherer Hinweis darauf, dass es sich bei
Fafnir
ähnlich wie bei der Midgardschlange eher um eine Art mehrfüßigen Lindwurm handelt als um einen typischen Märchendrachen mit Flügeln und alldem. Dafür würde außerdem sprechen, dass man damals Schlangen, Lindwürmer und Drachen mehr oder weniger in einen Topf warf und auch nicht
die Schlange
sagte, sondern
der Schlangerich
.«
»Da tummeln sich für meinen Geschmack ein bisschen zu viel Schlangeriche in Ihrer Mythologie«, murmelte Mara, die sich gerade daran erinnerte, dass auch Loki die Schlange über ihm so genannt hatte.
»Moment mal, das ist nicht nur meine Mythologie, sondern gerade auch ganz besonders deine, verehrte Seherin Mara Lorbeer! Und wer weiß, vielleicht werden auch nach dir mal Naturkosmetikserien oder Putzutensilien benannt, wie zum Beispiel bei der berühmten Seherin mit Namen
Veleda
.«
»Eine Seherin, die heißt wie ein Wischmopp?«
»Nein, ein Wischmopp, der heißt wie eine
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