Mara und der Feuerbringer
Seherin, und das ist eingroßer Unterschied … Psst, ich glaube, ich habe etwas gehört!«, flüsterte der Professor und duckte sich unwillkürlich hinter den Baum. Mara tat es ihm gleich.
Und da hörte sie es auch: Hufgetrappel! Ein Pferd näherte sich!
»
Grani
…«, murmelte der Professor und ergänzte leise: »Das ist der Name von Siegfrieds grauem Hengst.«
Und tatsächlich: Aus westlicher Richtung erschien ein Reiter hoch zu Ross majestätisch aus dem Schatten der Bäume und blieb am Rand der Senke stehen. Der Reiter saß stolz aufgerichtet auf seinem sattellosen Hengst und schützte mit der rechten Hand die Augen vor der tief stehenden Sonne.
»Darf ich vorstellen, das ist Siegfried, Ihr persönlicher nordischgermanischer Superheld«, flüsterte Professor Weissinger. Doch der Spott in seiner Stimme klang etwas bemüht, denn wie Mara war auch er sichtlich beeindruckt vom Anblick des sagenumwobenen Helden.
Ohne lange zu überlegen, tat Mara nun etwas, das sie schon länger vorgehabt hatte, aber jetzt war dafür der perfekte Augenblick: Sie griff in ihre Tasche nach ihrem Handy und machte ein Foto. Und noch eins. Und dann noch eins mit dem pixeligen Digitalzoom.
Ob ich Mama eines der Fotos als MMS schicken soll? Oder vielleicht sogar an Papa?, überlegte Mara kurz, verwarf den Gedanken aber sofort wieder. Mal abgesehen von der Frage, ob man aus einer Vision heraus MMS verschicken konnte, würde das nur zu unangenehmen Fragen führen.
Wie zur Strafe für die heimlichen Fotos ertönte da plötzlich wieder das dumpfe Grollen, das sie hierhergeführt hatte. Mara spürte die Vibration sowohl in der Magengrube als auch im felsigen Boden, auf dem sie knieten. Auch Lokis Schreie hatten die Umgebung zum Beben gebracht. Aber während Lokis Schreie eher wirkten, als könnten sie Glas zum Platzen bringen, war das Geräusch des Drachenviehs so tief, dass man meinte, es eher zu fühlen als wirklich zu hören. Mara steckteihr Telefon wieder ein, dachte kurz an Mama und schloss den Reißverschluss ihrer Jacke. Hier wollte sie das Handy am allerwenigsten verlieren.
Siegfried schien sich von dem Grollen des Drachen nicht wirklich einschüchtern zu lassen. Im Gegenteil: Er stieg mit einer eleganten Bewegung von seinem Pferd und zog ein ziemlich langes Schwert.
»Siegfrieds Schwert heißt
Gram«
, erklärte der Professor, der einfach nicht aufhören konnte, ein Wissenschaftler zu sein. »Es wurde von dem Zwerg
Regin
aus den Scherben der Waffe von Siegfrieds Vater Sigmund geschmiedet. Könnte dir wie so vieles vielleicht bekannt vorkommen, wenn du
Herr der Ringe
von Tolkien gelesen hast. Da schmieden die Elfen für Aragorn aus den Scherben des Schwertes
Narsil
ein neues mit Namen
Andúril
.«
Aber bevor der Professor weiter referieren konnte, drückte Mara seinen Kopf zu Boden und wedelte hektisch mit der Hand: »Pssst!« Denn Siegfried schien tatsächlich etwas gehört zu haben. Und wenn nun wirklich ein Kampf mit einem Drachen bevorstand, wollte sie auf jeden Fall erst
danach
mit Siegfried sprechen!
Als sie beide vorsichtig ihren Kopf wieder aus dem Gras hoben, sahen sie, dass der blonde Recke sich bereits an den Abstieg gemacht hatte. Leichtfüßig tänzelte er den steilen Abhang hinab und schlug nach einem letzten Sprung schließlich mit beiden Beinen förmlich im felsigen Boden der Senke ein, als wäre er dort gerade erst aus dem Fels gewachsen.
Mara konnte nicht umhin, die ungemein… naja,
athletische
Figur des Sagenhelden zu betrachten. Und sie konnte das objektiv betrachten, denn sie stand nun wirklich nicht auf solche Muskeltypen, nein danke, da waren ihr die inneren Werte aber wirklich wichtiger! Also, jetzt mal ganz neutral: Seine Hände umschlossen den Griff des Langschwerts und unter dem ärmellosen Lederwams traten seine angespannten Armmuskeln hervor. Das hatte schon … also das hatte aufjeden Fall … irgendwas. Und ganz im Gegensatz zu irgendwelchen Mr. Universums, die vor Muskeln kaum laufen konnten, wirkte Siegfried so beweglich wie eine Sprungfeder. Sein blondes langes Haar schien von Weitem zu leuchten, wie es da so im leichten Wind wehte. Und obwohl sie seine Augen nicht sehen konnte, wusste Mara, dass sie einfach stahlblau blitzen
mussten
! Was für ein …
»Klischee auf zwei Beinen«, ließ sich der Professor vernehmen.
Das Klischee schien inzwischen etwas auf dem Boden zu inspizieren, ging ein paar Schritte auf die Höhle zu und dann wieder zurück in Richtung des Gebirgssees. Schließlich
Weitere Kostenlose Bücher