Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Márai, Sándor

Márai, Sándor

Titel: Márai, Sándor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die vier Jahreszeiten
Vom Netzwerk:
der Feder zu Papier bringst, schreibst du zugleich mit dem Herzen und mit deinem Charakter. Was du in die Maschine tippst, das schreibst du nur mit deiner Absicht.
    Mit der Feder schreiben. Und zwar dann, wenn es kein Hinauszögern mehr duldet. Leicht, mit Feingefühl und entschlossen schreiben. Vor jedem neuen Wort die Feder anheben, den angemessenen Ausdruck wählen, in die Luft starren, ins Unendliche, in den Traum und in die Wirklichkeit. Dann das Wort schwungvoll hinmalen aufs Papier, das einzig wahre Wort, mit Seele, mit der Hand, mit der Feder.
    VIOLA
    Als ich krank war, schickte mir eine unbekannte Person einen Blumenkorb mit Rosen und Veilchen. Er wurde gegen Abend abgegeben. Ich weiß bis heute nicht, wer mir die Liebesgabe zugedacht hat.
    Es waren wundervolle Duftveilchen, viola odorata . Leuchtend violett und zierlich, wie man sie kandiert auf Torten in feinen Confiserien findet. Und es waren rote, gefüllte Rosen, die förmlich aufschrien, wie wenn jemand etwas Schmerzliches, Nichtwiedergutzumachendes in die Welt hinausruft.
    Der duftende Blumenkorb wurde mir auf den Tisch gestellt, und nachts, eingeschlossen im Käfig der Krankheit, gewahrte ich die Blumen manchmal im Zwielicht, wie quirlige mythische Wesen, Geschöpfe einer duftenden, edlen, anderen Welt. Und mir war, als hätten sie etwas gerufen, nur ein Wort. Was war es? Lange begriff ich es nicht. Dann, gegen Morgen, kam ich drauf: Es waren liebliche Klänge, Musik der Viola d’amore. Dann schlief ich ein.
    ERDE
    Vor dem Hotel graben Männer in zerschlissenen Hosen und mit Strohhüten auf dem Kopf in der Erde.
    Die Erde ist, wenn man sie unter der Asphaltdecke hervorbuddelt, bleich und grau. Woraus besteht sie eigentlich? Keiner weiß es. Einstmals ist das Meer eingetrocknet, Schnecken, Muscheln, Wassergetier, Mineralstoffe haben sich verdichtet. In Hunderten von Jahrmillionen wurden diese Rückstände zermalmt und pulverisiert.
    Ich bücke mich um einen Klumpen Erde und zerbröckle ihn zwischen meinen Fingern. Sie ist mir vertraut, die Erde, so vertraut wie die großen Dinge, wie das Leben, wie der Tod. Geschmack, Duft hat sie nicht. An Möglichkeiten schließt sie alles ein. Ich zerreibe, berieche sie.
    Erinnere mich, mache mich vertraut mit ihr. Lass uns einander kennenlernen, uns auf die Begegnung vorbereiten. Gewöhnen wir uns aneinander, Erde.
    HERZKLOPFEN
    Je mehr und auch Zuverlässigeres ich über das Schreiben weiß, desto unruhiger verbringe ich die jeweilige halbe Stunde oder die Minuten, die dem Akt des Schreibens vorausgehen. Das Herzklopfen, diese Beklemmung, die einen mahnt, dass die Arbeit jetzt nicht mehr hinauszuzögern ist und sogleich das passieren wird, was sich dann nie mehr wiedergutmachen lässt: Dieses Herzklopfen schwindet auch mit den Jahren und mit gewonnener Erfahrung nicht. Egal, was du schreibst – einen routinemäßigen Zeitungsartikel für Zeilenhonorar, irgendeine diffizile, heikle Prosa oder die große Szene eines Romans –, jedes niedergeschriebene Wort ist aus demselben Stoff, und wir haben es mit allen Folgen zu verantworten. Jedes Wort ist Teil unserer Identität, unseres aufrichtigsten Ichs. Umsonst bemüht sich der Autor zu mogeln, vergeblich nimmt er sein Tun auf die leichte Schulter: Das Herzklopfen, mit dem er seine Arbeit angeht, sagt ihm, dass er mit seinem Leben und Tod, seinem Schicksal und seiner Ehre, mit seinem Herzen und Verstand schreibt. Und deshalb kann man auch nicht zwischen »ernsthaftem« und »beiläufigem« Schreiben unterscheiden. Es gibt nur das wahre. Und deshalb ist alles redlich Geschriebene so schicksalhaft, so todtraurig. Als hätte man etwas verbrochen; und jede Handlung ist hoffnungslos.
    PFERDEGETRAPPEL
    In der fremden Stadt, gegen fünf Uhr früh, wache ich auf und höre unter meinem Fenster einen Pferdewagen vorbeirumpeln. Das Geräusch ist mir vertraut und fremd zugleich. So, als würde ich es träumen.
    Ich richte mich auf im Bett, lausche, erinnere mich. Und denke: Das ist nicht mehr die Stimme meiner Zeit. Es ist der Hufschlag des 19. Jahrhunderts. Ich horche ihm nach, bis er sich in der Ferne verliert, neugierig und in Erinnerungen schwelgend. Die Hufe klappern nicht mehr auf dem Pflaster, sondern in der Vergangenheit. Madame Bovary wurde noch in einer geschlossenen Equipage verführt. Zeitgenössische Heldinnen begeben sich schon mit einem Kurzstreckenbillett der Trambahn zum Rendezvous. Ich nehme Abschied von dir, Pferdegetrappel, wie von allem, was ich geliebt

Weitere Kostenlose Bücher