Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Márai, Sándor

Márai, Sándor

Titel: Márai, Sándor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die vier Jahreszeiten
Vom Netzwerk:
habe.
    MORGEN
    Dieser Morgen schläft, in sein gelbseidenes Federbett eingerollt, wie eine junge Kleinbürgersfrau von schlechtem Ruf, die schon jahrelang mit den Aufsteigern des Bezirks und Theaterstatisten schläft; ihre weiche, weiße Hand mit den rot lackierten Fingernägeln hängt im Schlaf vom Federbett herab, die kindlich fleischigen Füßchen hat sie unter die Knie gezogen, und um den Mund kleben noch Spuren der Nachtcreme, als hätte sie im Schlaf genascht, ihre Stupsnase in irgendeinen duftenden, verkleckerten Schmalztiegel gesteckt, und jetzt träumt sie, satt und leise prustend, von den Aufsteigern und Theaterstatisten. So ist dieser Morgen. Ich setze mich auf den Bettrand und betrachte ihn wohlgesinnt und verhalten.
    MILIEU
    Jetzt wird mir klar, dass ich eigentlich gar nicht den Tabán geliebt habe. Tatsächlich liebte ich die Rákóczi-Straße* mit ihren billigen, lauten Läden, Eisdielen, Kaffeehäusern, in denen geschäftige Handelsvertreter wie die russischen Konspirateure in Genf die Köpfe zusammenstecken, mit den Lichtern, die mit dem blubbernden Champagnerschaum irgendeiner märchenhaften Üppigkeit und des Rausches von den Giebeln auf die dunkle Straße herunterfließen, mit dem Revier der grellweiß und karminrot bemalten Dirnen, den stellungslosen, herumlungernden, von der Sípgasse bis zur Huszár-Straße verbandelten Ganoven, mit den Imbissstuben, wo zwischen abgenagten und weggeworfenen Maiskolben das Landvolk, das sich hierher verlaufen hat, mit so aufmerksamen und geduldigen Gesichtern lächelnd, wartend herumsteht, als müsste im nächsten Augenblick vor seinen Augen die Zauberstadt erstrahlen, mit Kaufhäusern, in deren Auslagen das mit rosafarbenen und cremegelben Daunendecken gezierte Schlafzimmer lockt, mit Stimmungslicht und dem Trugbild des dazugehörigen 400 Fixums – und allem, was an Sehnsucht und Interesse, an Absicht und Leidenschaft, Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung in Budapest brodelt, die Straßen entlangfließt und in der Kanalisation versickert. Alles echt, zu greifen und zu riechen. Das ist die Wirklichkeit. Die Fischerbastei* ist nur Ausflugsziel, ein historischer Aussichtspunkt für Fremde. Doch auf der Rákóczi-Straße, zwischen RochusSpital* und den Garni-Hotels, da sind wir zu Hause – hier leben wir, trödeln und sterben wir. Das ist unser Milieu, das echte.
    DAS MANUSKRIPT
    Man hat mir, nachdem es abgesetzt war, das Romanmanuskript aus der Druckerei zurückgeschickt. Jetzt sieht es aus, als wäre es ausgerissen und hätte sich herumgetrieben. Es ist verlottert und fleckig, Eselsohren, fette Fingerspuren, blaue und rote Vermerke verunzieren es. Als ob es ein Abenteuer hinter sich hätte, irgendwo herumgestrolcht wäre, im Leben, im literarischen Leben, das nicht weniger gefährlich und abenteuerlich ist als das von Matrosen, Maurern oder Jägern.
    Im Augenblick habe ich nicht mehr viel damit zu schaffen. Meine Verantwortung reicht gerade noch so weit wie die der Eltern für ihr herangewachsenes Kind. Vielleicht bringt es Schande über mich. Tun kann ich nichts mehr dafür. Es hat schon ein Los, ein Schicksal und seinen Charakter.
    Ein Jahr opferte ich ihm vom flüchtigen Leben. Ein Jahr, Tag und Nacht. Nun, da es sich in der Welt herumtrieb, ist es bereits ein wenig abgegriffen, verdorben. Sein Äußeres trägt geheimnisvolle Spuren. Fürwahr, die Literatur ist verdächtig. Als wäre dieses Manuskript auf der Polizeiwache gewesen, wo man es verhört, mit Sichtvermerken versehen und Fingerabdrücke von ihm genommen hätte.
    Jetzt schließe ich es in die Schublade ein und warte auf die Detektive.
    MAUPASSANT
    Durch seine präzisen, festen und treuen Sätze schimmert auf eine Weise der Wahnsinn hindurch, wie auch aus allen Erscheinungen des Lebens, die organische Verwandtschaft beteuernd, der Tod spricht. Er schreibt objektiv und hellwach über die Wirklichkeit; indessen vernehmen wir immerfort, wie im Hintergrund jemand jammert und feixt.
    DER WIND
    Ich ging durch eine enge, dumpfe Gasse, als mich der Wind anging. Die Berührung war derb, aber nicht verletzend, ein robust-rauher Verwandter begegnet einem auf solche Art. Ich blickte auf und staunte: spürte den Geruch des Meeres und den herben Geschmack der verschneiten Berggipfel; empfand die Unendlichkeit und das Nichts, zugleich auch etwas Erhebendes, dass ich Mensch bin, dass mich der Wind, das Meer, die Berggipfel etwas angehen, und auch die Vergänglichkeit.
    PELIKAN
    Jede Nacht lese ich in dem Band des

Weitere Kostenlose Bücher