Márai, Sándor
anders kleiden, das Leben auf den Straßen einen ungewohnten, leicht orientalischen Anstrich hat und ein sonderbarer, weißer Halbmond übers Firmament streicht. An den Junimorgenden, wenn die Stadt noch in den Schleier der ersten Hitze gehüllt japst, schaue ich, über die Kettenbrücke* fahrend, aus dem Busfenster auf die Donau, die jetzt irgendwie elementarer ist als gestern, reißender, unerbittlicher. Gestern war ich noch der Meinung, dass sie sich auf Göd zuwälzt, heute fällt mir ein, dass sie auch zum Meer hinströmt. An ihren Ufern flanieren fremdartige Frauen in merkwürdigen, blumig gemusterten Gewändern, mit dem Glimmen fremder Schicksale in den Augen, in den Händen Ballschläger und rote Wachstuchtaschen, die sie mit den Utensilien der Nacktheit zum Strom mitschleppen. Eingeborene Gecken stülpen sich um diese Zeit schon den Strohhut auf. Gegen Mittag gemahnt die Lufttemperatur bereits daran, dass wir uns gen Osten, in Richtung von Krokodilen, Verkäufern von türkischem Honig, Sommerliebschaften und den gesteigerten Aussichten auf den Weltkrieg bewegen. Ich wechsle Geld und mache mich langsam am Ufer entlang auf den Weg, am Ufer des fremden Erdteils, am Gestade des Juni.
Unbemerkt füllt sich die Wohnung mit Blumen. Der Alltag legt sich feiertagsmäßig Blumengirlanden um die Stirn, und alles ist etwas fleischlich in diesen Wochen, sinnlich. Selbst im Vorzimmer stehen Blumen in Einkochgläsern, und auf dem Kleiderschrank blühen Sträuße, als wäre ständig irgendwo Hochzeit, mit Freudenschreien, mit Zigarrenrauch und Küssen von Verwandten. Ich lebe leicht betäubt ob dieser fleischeslustigen Reife, der nicht ganz unschuldigen Sinnlichkeit, in dieser warmen, entblößten Körperlichkeit. Auf den Veranden der Sommerhäuser liegen überall junge Frauen in Liegestühlen, unfrisiert, ein wenig übergewichtig, mit vom Nachmittagsschläfchen rot erhitzten Gesichtern, selbstvergessen, sich mit matten, schläfrigen Gesten räkelnd, starren sie die Perspektive der Laubbäume entlang zum Gartentor hin. Ganz gewiss erwarten sie jemanden. Die Kiesel auf dem Gartenweg knirschen. Er kommt schon, der Sommer, denken sie; und mit geschlossenen Augen, eine Hand schlaftrunken auf den warmen Mund gelegt, gähnen sie kurz. Woran denken sie in solchen Augenblicken? Ehemänner, Liebhaber, seht euch vor! Der Juni ist da. Im Garten schleicht jemand herum.
FRAGE
Ich ging unter den Palmen am Meeresstrand, und hinter mir fragte ein Kind seine Mutter etwas auf Ungarisch.
Warum überkommt mich, sooft ich in der Fremde ein Kind ungarisch sprechen höre, eine unbezwingbare Traurigkeit, und ich muss schnell davoneilen in eine verlassene Seitengasse, um mir die Tränen abzuwischen und sie vor Fremden zu verbergen?
ELEMENTE
Ich liege in der Sonne und schaue aufs Meer. Im Meer badet ein junges Mädchen, und die Insel und der Schatten des Berges spiegeln sich im Wasser. Der Mädchenkörper, der Berg, das Meer, sie alle existieren jetzt einen Augenblick lang getrennt voneinander, für sich, als wäre die Natur in ihre Einzelelemente, in die einfachen Silben der Urformel zerfallen. Von der Sonne trunken, buchstabiere ich diese Silben, wie der erste Mensch die Welt buchstabierte.
Dann fängt jemand zu reden an, und aus dem allen wird wieder ein Landschaftsbild.
ALTES HOTEL
Nachts ankommen in dem verlassenen Hotel, das vor fünfzig Jahren en vogue war. Mein Vater ist hier noch voller Stolz abgestiegen. Ich nur noch mit säuerlicher Miene und aus Mitgefühl.
Doch das Etablissement gibt sich nicht geschlagen. Kämpft mit der Zeit, mit dem Verfall wie eine verzweifelte, alt gewordene Modepuppe, die ihr faltig gewordenes Gesicht mit dem Wiener Lappen* bestreicht, die Warzen mit Reispuder übertüncht und die abgetakelte Figur mit jugendlichen, modisch gemusterten Fähnchen verhüllt. Es hat alles, was ein modernes Haus haben muss: Aus den Hähnen fließt warmes Wasser, die Stockwerke verbindet ein elektrisch betriebener Lift, jedoch so klappernd und knirschend wie die Zugbrücke einer mittelalterlichen Festungsbastei. Ein grell geschminktes altes Haus, das sich auf dem berühmten Entenfuß* dreht, doch angetrieben durch Elektrizität.
Ich mime Anteilnahme, weil es mir leid tut. Ist ja ein ganz passables Haus, murmele ich im Zimmer halblaut vor mich hin. Schreite durch die fossilen Säle, als wären die Möbel, diese farbigen Glasbilder an den Fenstern, die vom Schicksal schwer geprüften Palmen in der Ecke des Gesellschaftsraums
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