Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Márai, Sándor

Márai, Sándor

Titel: Márai, Sándor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die vier Jahreszeiten
Vom Netzwerk:
dieser glücklichen Übertreibung, hungrig und geschäftig.
    Die grüne Flut schwemmt in jedem Frühling all das fort, was in meinem Leben Haus, Zaun und Geborgenheit war. Ein paar Wochen lang schwimme ich zwischen Trögen und Hausdächern, obdachlos, abgetrieben, in einem allumfassenden Abenteuer, das wie der Mississippi rauscht und gefährlich ist, wie das Leben.
    LICHT
    Blondinen tragen ein Licht in sich, das alle Bezirke ihrer Liebe durchdringt. Der eine oder andere Blondschopf leuchtet am Horizont der Erinnerung wie das Nordlicht über einer fröstelnden, entwickelten Handelsnation.
    PUSCHKIN
    Wir sprechen einen Namen aus und hören eine Stimme. Es ist seine Stimme, nur seine. Ihren Tonfall, ihre Inbrunst, das variierende Ansteigen und Abfallen bewahrten wir, wie das Timbre eines großen Sängers, für immer in unserm Bewusstsein. Wenn ich den Namen Puschkin ausspreche, höre ich helles Schlittengeklingel, Peitschenknallen, das Lachen von Frauen, die Stimme eines Klaviers, die verhaltene Unterhaltung von Männern, schließlich den Pistolenschuss. Ich sehe Gesichter, das von Tatjana, von Onegin* und von Lenski, ich erkenne die Kostüme aus der Zeit vor hundert Jahren, altmodische Verneigungen, den rauchenden Pistolenlauf, einen siebenunddreißigjährigen Mann, wie er zu Boden sinkt, und sein schwelgendes und durchgeistigtes, leicht negrides Gesicht, das sich in der bangen Todesgrimasse seltsam entstellt.
    Seinen Erfolg trug er mit natürlicher Würde. Wie auf alle lyrisch empfindenden Seelen, die zu seiner Zeit schrieben, wirkte auch auf ihn Byron am nachhaltigsten. Damals wollte jeder Dichter vorzugsweise an Malaria sterben, in Missolunghi, für irgendeine fremde, edle und hoffnungslose Sache. Die Szenerie des Duells, als hätte Puschkin sie vorhergeträumt, als sei sie im Onegin beschrieben, dieser in der Leiste getroffene Dichter, der in der Blüte seines Schaffens »auf dem Feld der Ehre« hinsinkt – sein ersterbendes Stöhnen verfolgt eine ganze Nation, der Zar schreibt eigenhändig erkundigende und tröstende Zeilen mit Bleistift auf kleine Zettel, und als der Dichter stirbt, setzt er den Hinterbliebenen eine jährliche Rente von vierzigtausend Rubel aus! –, sie beweist damit einen staunenswerten Gleichklang mit seiner Zeit, mit dem Leben des Dichters und seinem ganzen Werk. Ein großer Dichter irrt nicht. Er verlässt sich auf seinen Instinkt und schreibt und lebt und stirbt, wie es sich ziemt.
    CHAMPAGNER
    Der Frühsommertag ist so herb und prickelnd, als hätte jemand irgendwo eine Flasche Champagner geöffnet; sein Schaum ist verflogen, und jetzt funkelt er mit seinen Perlen in den Kelchen der Blumen, in den Augen und im Lächeln der Frauen, im Ruf der Vögel. Die Natur ist froh gelaunt, irgendwie angeheitert. Wiesen und Felder schwanken leicht, als wären sie ein wenig beschwipst. Ich hätte Lust zu singen! Denke aber an die Zeche, die nach dem Sektgelage immer einer begleichen muss. Deshalb schweige ich inmitten der berauschten Felder, als hätte ich mich nur unversehens in die fröhliche Runde verirrt.
    JUGEND
    Wie jung ich bin! Meine Bekannten machen mir Mut, dass es jetzt erst anfängt, und überhaupt, mir gehört das Leben. Vielleicht, denke ich, möglich, dass es jetzt beginnt. Dann überlege ich, dass Tolstoi, als er so alt war wie ich jetzt, bereits sein Hauptwerk geschrieben hatte und Petofi in meinem Alter schon ein Jahrzehnt unter der Erde lag. Mich schaudert, und es erheitert mich zugleich. Ich erschrecke, denn es gibt keine Regel, zugleich macht es mich froh, weil ich offenbar weder die Mittel noch die Begabung besitze, auch nur annähernd etwas wie Tolstoi und Petofi zu schreiben. Meine Aufgaben, meine Maßstäbe sind andere. Um vieles bescheidener, um vieles ärmer. Eben andere, von anderer Art … wie viel Zeit werde ich brauchen, um meine Pflicht zu erfüllen? Ich blicke auf die Uhr, schaue aus dem Fenster. Dann zucke ich die Achseln. Und lebe.
    REGELN
    Ihr Lob ertragen.
    Nicht beleidigt sein, wenn sie sagen: »Ich lese gerade Krieg und Frieden . Muss dir gestehen, dass es mich langweilt, viel zu viel Beschreibung.«
    Ruhig bleiben, verbindlich lächeln, wenn sie ins Zimmer treten und wohlmeinend erklären: »Ich habe einen Bombenstoff für einen Roman, will ihn dir gern anvertrauen, du kannst ihn schreiben.« Wenn ich dann schweige, setzen sie ermutigend hinzu: »Und ich verlange keinen Anteil am Honorar.«
    Schweigen, wenn sie etwas besonders preisen, für das du dich schämst

Weitere Kostenlose Bücher