Márai, Sándor
kühl antworten, und er würde dem Verleger von Hermann und Dorothea in Sachen Honorarabrechnung einen gestrengen Brief schreiben. Nichts anderes könnte er tun. Deshalb war er Goethe.
SANFTE ERINNERUNG
Aber übel war auch das nicht, als wir Schmuggler waren in einer dalmatinischen Stadt, vor hundertfünfzig Jahren, den ganzen Tag in glühender Sonne auf der Mole herumhingen und in die Luft gafften, auf die rostfarbenen Segel der Barkassen lauerten, den Hehlern, die in den Hafenkneipen Schnaps und süßen griechischen Wein ausschenkten, geheime Zeichen gaben, als wir nachts die Messer wetzten und in unseren Tabakbeuteln Goldstaub mit Schießpulver mischten, während die Geliebte unten am Schanktisch mit den Gendarmen schäkerte; an Regentagen schmerzte noch gelegentlich die Narbe von der Kugel, die uns mitten in den Dardanellen in die Hüfte traf, als wir in der Nacht Haschisch und chinesische Seide aus Griechenland herüberschmuggelten – ja, so lebten wir, Brüderchen! Merk es dir.
DER MEXIKANER
Manchmal muss ich auch an den Häusermakler in Mexiko denken, der in der Zeitung das Wort »Ungar« oder »Budapest« liest – und einen Augenblick lang ins Leere starrt und etwas sieht, einen Menschen, eine Landschaft oder die Erinnerung an eine Photographie, die für ihn den Ungarn und Budapest bedeuten. Auch diese verworrene und nebelhafte Vorstellung sind wir. Der Mexikaner sieht mich genauso scharf und unmöglich wie ich ihn, wenn ich in einem Budaer Kaffeehaus in der Abendzeitung das Wort »Mexiko« lese. Wir wissen nichts voneinander. Ich weiß mehr über Alexander den Großen als über den Zeitgenossen in Mexiko. Wir leben nicht nur im Raum und in der Zeit; auch in Unwissenheit.
DAS SCHWIMMBAD
Außer der behördlich erlaubten Nacktheit, neben den in Wasser und Licht eingeweichten entblößten Gliedmaßen dämmert eine andere Nacktheit, die weder die »Gesundheit« noch die »Körperkultur«, nein nicht einmal die Sinnlichkeit zum Ziel hatte; sie verfolgte überhaupt kein Ziel. Diese andere Nacktheit, die paradiesische, blitzt als Erinnerung beim Anblick der entkleideten Körper auf. Der Sündenfall – jetzt entsinne ich mich – begann nicht mit der Nacktheit, sondern mit dem Ankleiden.
CÉLINE
Louis Ferdinand Céline ist das Genie des Unrats. Es gibt in der Weltliteratur keinen zweiten Schriftsteller, der mit solchem Sachverstand und so viel zügelloser Leidenschaft so gründlich und unerschrocken seine Nase in alles gesteckt hat, was unerträglich stinkt im Leben. Céline ist der Experte für Schmutz. Ich begegne seinen Werken mit Ehrfurcht, nur stehen seine Bücher – eben wegen ihres Inhalts aus hygienischen Gründen – nicht in meinem Zimmer.
BÁRTFA
Gegen Ende des Krieges gingen wir zur Erholung nach Bártfa*. Nahmen dort ein kleines Mietshaus, eine Villa namens »Grünfink«, in der noch kurz zuvor russische Besatzungssoldaten gehaust hatten, gutmütige Muschiks, die – in der Eile – den Deckel des Flügels anhoben und in die Saiten schmutzten. Wir hatten das erst später bemerkt, als wir zu musizieren begannen und die Saiten verdächtig dumpf klangen. Der Sommer verging damit, dass wir hinter den Russen herputzten. Die Besatzer waren schon lange vorher aus dem Gebiet abgezogen, doch sie ließen ziemlich hartnäckigen Unrat zurück, nicht nur im Klavier, sondern auch im Wald.
Es war ein heißblütiger und leidenschaftlicher Sommer. Im Wald sahen wir einen Bären, beidarmig erntete er Himbeeren und ist, als wir näher kamen, gemächlich davongetrottet. Dieser Sommer hatte etwas Gefährliches, Dichtes und Süßes. Am Brunnen rannten aufgeregt orthodoxe polnische Juden herum, entzückt von einem Wunderrabbi, bleiche, verwundete Offiziere saßen auf den Bänken der Promenade, und immerfort wurde irgendwo musiziert, ein wenig falsch und aufregend. Der Badearzt hieß Dr. Kanari – Ehrenwort! Am Ende des Sommers verließen wir Bártfa und erfuhren, dass der Krieg zu Ende war und dass an seiner Stelle etwas Unerwartetes, Furchterregendes und unberechenbar Gefährliches begonnen hatte: der Friede.
HEIMKEHREN
Eines Tages muss man alles wegwerfen, alles, die Uhr, die Möbel, die Bildung, und muss zu den Armen heimkehren. Man kann nicht anders. Sie sind die Stärkeren. Rufen einen unentwegt.
IN DEN BERGEN
Der Bus fuhr früh um sechs bei triefendem Nebel von Fiume ab; gegen sieben waren wir bereits in den Bergen, eisiger Wind schlug gegen die Fenster, und kalte Lichtfetzen flatterten um die
Weitere Kostenlose Bücher