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Márai, Sándor

Márai, Sándor

Titel: Márai, Sándor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die vier Jahreszeiten
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tödlich Verwundeter: »Hilf!« Aber ich möchte doch, möchte ja helfen … hier, ein Glas Wasser! Da hast du Geld! Da, Zärtlichkeit! Alles andere, was noch dazugehört, damit ich dich lieben kann, vermagst doch nur du zu geben.
    DER ERGÄNZUNGSBAND
    Das Werk eines Autors besteht nicht nur aus dem, was er geschrieben hat. Jeder große Schriftsteller hinterlässt einen oder auch mehrere Supplementbände, die er nicht niedergeschrieben hat: Bände oder Stücke, die die Leser, der Publikumsgeschmack, Modernität und Mode von ihm forderten, und der Autor hat die Kraft gefunden, zu widerstehen, sich den gemeinen und dümmlichen Wünschen zu verweigern. Dieses Widerstehen ist der andere, der unsichtbare Teil des Werkes. Manchmal ist das der entscheidende, der wahre Teil.
    DIE FJORDE
    Denke daran, dass du auch zwischen den Fjorden nicht glücklich geworden wärest.

JULI
    Schon am Morgen, beim Aufwachen, liegt so etwas wie eine Hiobsbotschaft in der Luft. Die Vögel setzen im Morgengrauen gegen halb drei ein. Von drei bis fünf disputieren sie, rüsten sich für den Tag, fürs Leben. Diese Stunden sind voller Geheimnisse. Die Stadt schläft, eingerollt in ihre säuerlichen Hüllen, gequält und matt bereitet sie sich auf ihr Vierunddreißig-Grad-Schicksal des Tages vor. Doch die Morgendämmerung, dieser zarte, edle und duftende Julimorgen, atmet den gesunden frischen Duft der Reife. Ich stehe auf meinem Balkon, früh um vier, zwischen den Baumkronen und lausche dem sanften Rauschen, mit dem sie erwachen. Ja, das ist der Sommer, sinne ich; und als überflute mich ein Gefühl, das kein Feilschen mehr zulässt und voll handfester Erinnerungen ist: Ich nehme den Duft von Marillen wahr, rieche förmlich die kühle Wachstuchbespannung des Liegestuhls, auf dem ich als Schüler bäuchlings gelegen und an Julinachmittagen Jókai gelesen habe, den »Mann mit dem steinernen Herzen« und »Siebenbürgens goldene Zeit« mit Begeisterung verschlang. Dann sehe ich einen Berghang in der Dämmerung, Vater schreitet unter den Pappeln, die Jagdflinte auf der Schulter, vor ihm Castor und Pollux, die hellbraunen Vizslas, Mutter steht im weißen Morgenmantel auf der Veranda des Gartenhauses, und die Gegend ist voll mit bräunlichen und blauen Schatten der Abenddämmerung. Vierzig kann Vater damals sein; er trägt einen gelben Strohhut, und aus seiner Jagdtasche baumeln Wachteln mit blutenden Augen herab. Ich sehe den Weidenhain am Ufer des seichten Flusses, die Staubwolke auf der Landstraße, in der warmen Nacht den Vollmond über dem heiligen Johannes Nepomuk aus Stein. Die Nase des Heiligen haben die betrunkenen Wanderburschen abgeschlagen. Ich höre die Grillen, Frauen lächeln irgendwo in der Nacht, zwischen den Weidenbüschen baden slowakische Mädchen im Fluss. Das ist der Sommer, so war er, ich erinnere mich.
    Morgens um fünf gehe ich in mein Zimmer zurück, schließe das Fenster. Ich bin Schriftsteller, brauche das künstliche Klima, um arbeiten zu können. Man kann im Juli nicht das Strandleben genießen und schreiben. Man kann bei vierzig Grad in der Sonne nicht an schmelzenden, brodelnden Plätzen herumtorkeln und schreiben. Schreiben ist keine naturgemäße Profession. Ich arbeite im abgedunkelten Zimmer bei elektrischem Licht, in künstlichem Klima. Man muss den Anforderungen seines Metiers Rechnung tragen. Auch der Bergknappe kann nicht anders, er findet das Erz nur in der feuchten Dunkelheit, danach zu suchen, es aufzuspüren, ist einziger Sinn seines Lebens. So tröste ich mich den Tag über, während – von der Außenwelt – verschwitzte Boten eintreffen und Schreckensbotschaften überbringen. Der Asphalt schmilzt, berichten sie, im Kasino wurde ein Croupier ermordet, die Menschen auf den Straßen fallen in Ohnmacht, die Luft zerfällt durch die Hitze in ihre Elemente, alles gärt, fault, brodelt und bröckelt. Still verharre ich in der abgedunkelten Wohnung, höre mir die Nachrichtensendungen an, dann setze ich mich wieder an meinen Tisch, schreibe ein, zwei Zeilen, vielleicht über den Sommer, über die Brände, über das Präriefeuer, das die Außenwelt verwüstet. Was soll ich tun, wenn ebendies auch in den Hundstagen meine Bestimmung ist?
    Abends gegen sieben gehe ich hinunter auf die Straße. Die Sonne funkelt noch mit gelber Wut, mit dem Zorn eines sterbenden Amokläufers, über dem János-Berg. Der Kraftwagen, der mich in die Redaktion bringt, schwimmt förmlich zwischen den heißen Steinen dahin. Drinnen machen wir

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