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Márai, Sándor

Márai, Sándor

Titel: Márai, Sándor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die vier Jahreszeiten
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uns jetzt an die Arbeit, wenn die anderen – Minister, Parkpfleger, Lokomotivführer – nach ihrem Tagesgeschäft schon unter der Dusche stehen. Wir schaffen in der grauschwarzen Hitze, wie die Neger-Heizer an den Kesseln von Kriegsschiffen. Wir, Arbeiter, Journalisten, Schriftsteller, laufen in Hemdsärmeln über die Korridore, schlagen uns mit den revoltierenden Elementen herum, mit den physischen Erschwernissen der geistigen Arbeit. Wir gießen den dampfenden, oft blutigen Stoff, den der glutheiße Tag gezeitigt hat, in Form. Gegen Mitternacht, nach getaner Arbeit, gehen wir bleich durch die Straßen, möglichst korrekt gekleidet, wie die Weißen in den Tropen, die auch dann genötigt sind, sich zu disziplinieren, wenn die Natur sich undiszipliniert gebärdet und die Eingeborenen den Kopf verlieren.
    Im Morgengrauen um drei stehe ich dann wieder draußen auf dem Balkon. Höre den Vögeln zu. Denke daran, dass die Literatur ein Produkt der gemäßigten Zonen ist. In den Tropen kann man nur leben. Und denke noch ermattet und mit einiger Sehnsucht: Es mag so schlecht nicht sein, in den Tropen. Gar nicht übel, leben, dösen in fünfzig Grad heißer, tödlicher Umarmung des Lebens; leben, nur leben.

DER BAUM
    Im zarten, weich flutenden Dunst des Sommers steht über Hügel und Wald auf dem Gipfel des Berges im scharfen Gegenlicht der Baum, ganz allein. Streckt seine belaubten Äste flehend zum Himmel; steht einsam und unversöhnlich, überragt die Landschaft und Schöpfung, wehklagt und ächzt. Er erhebt sich über den Wald, zu dem er gehört, dessen verirrtes Kind er ist; ein Sonderling, steht hoch oben, gekränkt und verzweifelt, wie Nietzsche in Sils Maria über einer Zivilisation, am Rande des Wahnsinns und der Unendlichkeit. Steht über der Welt, im Sommer, unglücklich und voller Hochmut.
    Doch tief unten der Wald mit seinen hunderttausend Stämmen, eng aneinandergedrängt, verliert sich im weichen Dunst, atmet den lauen Nebel, demütig und glücklich.
    DIE STERNE
    In diesem Sommer habe ich zum ersten Mal die Sterne aus der Nähe gesehen. Nachts, über dem Garten, leuchteten sie plötzlich auf, alle vieltausend Millionen, Milliarden, Billionen, sämtliche Milchstraßen und galaktischen Nebel, auch die vertrauten und altbekannten, das Siebengestirn, der Kleine Bär, der Große Wagen. In der Nacht war der Polarstern faustgroß zu sehen, funkelte mit so augenfälligem Schein wie der Lichtstrang eines Leuchtturms. Sogar Sternschnuppen fielen schon.
    Das All erschien vertraut und freundlich. Alles war an seinem Platz, sämtliche Gruppierungen und Sternbilder in ihrer schicksalverheißenden Vertrautheit und Tradition. Ich werde sterben, dachte ich, doch meine Seele hat auch mit den ewigen Sternen zu tun. Panta rhei. Oh, wie langsam ist diese Bewegung! Dieser träge Takt, gemessen an den Ansprüchen des Menschen, fast die Ewigkeit.
    Hannibal hat diese Sterne schon gesehen, auch Moses. Christus und Abraham haben sie gesehen, und Napoleon bestaunte unter den Pyramiden bereits dasselbe Firmament. Die Welt ist stabil! – dachte ich erleichtert. Der Stern, unter dem wir geboren sind und sterben werden, verändert sich nicht!
    Zum Mars reisen – sann ich noch –, wozu? Wie ärmlich die Seelen, die den Sommerhimmel wie eine mit den Chancen eines Fahrplans ausgestattete Bahn betrachten! Nirgendwohin reisen, nur leben in der Unendlichkeit, unter den Sternen, atmen und sterben im Universum, unter den Sternen, mit geschlossenen Augen in der Sommernacht, und aufblicken zum Himmel, mit glänzenden Augen, die zu leuchten beginnen, wenn sie das Licht der Sterne trifft.
    DIE ADRESSE
    Dieses Gefühl, wenn wir merken, dass wir die Adresse verloren haben. Man musste irgendwo in die Richtung gehen, links, an der Ecke einbiegen, dann kam das Firmenschild eines Friseurs, dann die Erinnerung an das Gesicht einer Frau aus der Kindheit, ein Notenheft, das ebenerdige Haus, Akazie, dann Stufen, über die du nach oben zu einer Wohnungstür kommst, an der Tür dein Name, du musst nur die Klinke niederdrücken … all das weißt du, kennst du genau, indessen tritt dir der Angstschweiß auf die Stirn, denn gleichzeitig erinnerst du dich und spürst, dass all das verlogen und falsch und nicht die richtige Wohnung ist, nicht hierher solltest du heimkehren, anderswohin, in eine andere Straße, aus einem anderen Korridor öffnet sich eine Tür, dort müsstest du läuten, dort wartet das Mittagessen oder die Arbeit oder die Liebe, die wahre. Aber

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