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Márai, Sándor

Márai, Sándor

Titel: Márai, Sándor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die vier Jahreszeiten
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verkauft.
    GEWITTER
    Vielleicht lohnt es sich, dafür zu leben: hinaustreten ins Sturmgetöse, barhäuptig, mit zerzausten Haaren des Blitzes und Donnerschlags harrend, dem finsteren Himmel und den Wolken mutig ins Auge blicken, wissend, dass jemand die Hand über dich hält, auch auf dem Meer, wenn im Mastbaum des Schiffes das Totenglöcklein läutet … Schön und wahrhaftig müsste man zugrunde gehen. Tose nur, Verhängnis, Gewittersturm.
    SCHAM
    Diese Frau war schamhaft. Sie sagte:
    »Er hat mich operiert, später haben wir dann ein Verhältnis miteinander angefangen. Plötzlich habe ich mich geschämt. Vor einem Chirurgen, der in unseren Eingeweiden gewühlt hat, ist man anders nackt. Als hätte er mit meiner Galle oder mit meiner Leber ein Verhältnis gehabt. Meine Hände hat er gelobt, aber es gab einen Augenblick in unserer Bekanntschaft, da er meinen Dickdarm gestreichelt hat. So etwas mag ich nicht. Deshalb habe ich mit ihm vor der Zeit Schluss gemacht. Zu sehr nackt zu sein, behagt mir nicht. Eine Frau sollte sich immer irgendeine Hülle bewahren: einen Unterrock oder wenigstens die Epidermis. Was darunter ist, muss Privatsache bleiben.«
    PARISER SONNTAGE
    Gelegentlich kehrt die eisige, feuchte Langeweile der Sonntagnachmittage von Paris wieder, und die Erinnerungen lassen einen nicht los. Es ist eine gräuliche Erinnerung, die wie ein klammes kaltes Bett riecht, in dem du nicht einschlafen konntest. Die Bistros, in denen Alkoholiker Karten spielen; die Pariser Kaffeehäuser mit ihrer unverwechselbaren Herbheit und Gehässigkeit; diese schrecklichen Stunden, in denen ich auf- und abrannte in der riesigen Stadt, vom Montmartre bis zum Montparnasse oder draußen in den Vorstädten, wo alles nach Pisse roch; die Cafés auf dem Boulevard mit den Straßenmädchen, den flanierenden französischen Strizzis und den herumlungernden französischen Spekulanten, die man nicht so recht auseinanderhalten kann; die Sonntagnachmittagsausgaben der Gazetten mit den albernen Sportnachrichten, den dümmlichen Ministeransprachen und den Fotos der frisch enthüllten Heldendenkmäler; die kalten Lichter an den Stirnwänden der Häuser auf den Champs Elysées, die Hausmeister in Hosenträgern auf dem Rasen im Bois mit Kindern auf dem Schoß, mit der Weinflasche und ohne Schuhe, mit ihrem Fußschweiß das Strauchwerk des Bois verpestend; diese Pferderennen, bei denen man Staub schluckt und nach dem letzten Rennen drängelnd in Richtung Autobus hastet; diese Öde und Trostlosigkeit, die zivilisierte Heimatlosigkeit, diese feuchte und kalt klebrige, herbe Hoffnungslosigkeit – in all dem war etwas von den Sonntagen der Gefängnisse, Besserungsanstalten und Krankenhäuser. London ist am Sonntag leerer, aber wärmer, menschlicher. Paris ist sonntags grausam und fürchterlich. Es ist die Stadt, in der man nur arbeiten und gewissen Genüssen nachgehen kann. Von Muße und Erholung verstehen die nichts.
    BEREITSCHAFT
    Jede Zeile sollte man mit solcher Sorgfalt niederschreiben, als würde danach sogleich der Tod den Punkt ans Ende des Satzes und des Autorenlebens setzen. Schicksalhaft müsste man schreiben, unwiderruflich, wie einer, dem keine Zeit mehr bleibt, die Interpunktion zu verbessern, Attribute und Charaktere auszutauschen. Leben wir nur einmal? Das ist nicht sicher. Aber wir schreiben nur einmal. Das ist ganz sicher.
    HOROSKOP
    Ich glaube nicht recht daran, dass das, was im Zeichen des Steinbocks oder des Skorpions bereits unerträglich war, sich im Zeichen des Widders wesentlich ändern wird. Unter jedem Zeichen und Symbol blüht auf Erden irgendetwas Unverständliches und Hoffnungsloses, was zugleich, im Widerspruch zu den Zeichen, strahlend und herrlich unabhängig von der kosmischen Welt ist. Dieses Etwas ist dein Schicksal und auch das meine. Und wir gestalten es. Das glaube ich felsenfest.
    GOETHE, IM SOMMER
    Zwei politische Bestrebungen hat Goethe gehasst: die Demokratie und den verlogenen, überzogenen Nationalismus. An diesem strahlenden, glutheißen Sommertag, an dem der Nationalismus weltweit wie ein blankgezogenes Schwert aufblitzt und es in manchen Teilen der Welt vor lauter Hass auf die Demokratie knistert – so könnten die Priester Philipps von Spanien Ketzer gehasst haben –, überlege ich, was wohl Goethe tun würde. Vermutlich dasselbe; englische Stiche ordnen, vier, fünf Zeilen von Faust II schreiben, mit Kanzler Müller oder mit Eckermann plaudern, auf begeisterte Briefe junger Dichter misstrauisch und

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