Marathon Mosel
bohren, während sie beobachtete, wie auf einem kleinen Feld zwischen zwei Mauern eine Schubkarre mit Schutt nach der anderen abgekippt wurde.
»Könnt’ mal jemand gucken kommen?«, rief einer der Arbeiter nach oben.
»Ja?« Gabis Stockei klapperten auf den Rosten. Sie registrierte, dass ihr einer der Männer unter den Rock schielte.
Harry erhob sich mit Mühe von einer niedrigen Steinmauer. Gabi war schon um die nächste Kehre verschwunden, als auch er im unterirdischen Gangsystem angelangt war.
Als er die Stelle erreichte, an der die Einsturzstelle bereits bis auf einen Schutthaufen von höchstens einem halben Meter Höhe geräumt war, fand er Gabi in der Hocke mit ihm zugewandten Rücken vor.
Es war nicht die erwartete Leiche, sondern ein großer Steinquader, der Gabis Interesse auf sich zog.
»Wir lassen noch mal die SpuSi kommen.« Gabi rappelte sich hoch und nahm ihr Telefon aus der Handtasche.
»Guck mal«, wandte sie sich an Harry. »Da sind frische Absplitterungen und schwarze Verfärbungen dran.« Sie trat mit dem Fuß gegen den Stein. »Außerdem müssen wir den Redlich …«
»… Zelig«, verbesserte Harry.
»Gut, also den müssen wir fragen, ob das hier schon vorher da war.« Sie leuchtete auf das Loch in der Wand, hinter dem sich der Schein ihrer Lampe verlor.
Zelig traf als Erster ein. Wenig später war Walde zusammen mit den Leuten der Spurensicherung zur Stelle. Er begutachtete kurz den gesplitterten Stein und wandte sich dann an Zelig: »Wohin kommt man da?«
»Richtung Weberbach, Hallenbad, Forum …«
»Und weiter?«
»Der Abwasserkanal lief in die Mosel.«
»In die Mosel?«
»Ja, er mündete neben der Römerbrücke.«
»Und der hier?« Walde deutete auf das Loch in der Wand oberhalb des Steinhaufens.
»Keine Ahnung.«
»Dann mal los.« Walde stieg durch die Öffnung in der Wand, gefolgt von Zelig, Harry und Gabi, die ihren engen Rock bis über die Oberschenkel hochziehen musste und dabei die Kollegen von der SpuSi streng mit den Augen fixierte.
Eine Weile waren noch das Aufeinanderschlagen von Steinen und die Leute von der SpuSi zu hören, die sich Anweisungen zuriefen.
Einen Moment überlegte Walde, ob der Eindringling noch hier unten sein könnte. Es wäre kein Problem, sie einen nach dem anderen abzuknallen. Der Gang war so schmal, dass Walde seine Hinterleute warnte, als er einer dicken Wurzel ausweichen musste, die in den Untergrund eingedrungen war. Als Kind hatte er von Entdeckungstouren durch unbekanntes Terrain geträumt, hatte aber nie daran gedacht, dass diese in der eigenen Stadt möglich waren.
»Lassen Sie mich nach vorn.« Zelig war der Erste, der nach Minuten etwas sagte. »Ich hab’ eher einen Blick dafür, wenn etwas Unregelmäßiges auftaucht.«
»Und wenn noch jemand hier unten ist?« Walde blieb stehen.
»Dann lass’ ich mich sofort fallen, ich war Kampftaucher beim Bund.«
Während Walde sich fragte, wo da die Logik steckte, ließ er den Archäologen vorgehen.
»Wo sind wir überhaupt?«, fragte Harry von hinten.
»Wahrscheinlich schon unter der Stadtbibliothek.« Zelig ging, dicht gefolgt von den anderen, weiter. Sie hatten noch keine hundert Meter zurückgelegt, als er ausrief: »Da vorn ist sowieso Schluss.« Er blieb stehen.
Walde konnte über den etwas kleineren Zelig hinwegsehen. Eine Mauer versperrte den Gang.
Nein, die Mauer wies ein Loch auf. Es war etwa so groß wie die Öffnung, durch sie hier hineingelangt waren. Es lagen keine Steine davor.
Walde hörte hinter sich den Druckknopf von Harrys Pistolentasche aufspringen und kurz darauf den Schnappverschluss von Gabis Handtasche.
»Lasst uns durch.« Harry drängte sich mit Gabi an Walde und Zelig vorbei. Vermutlich saß der Eindringling hinter dem Loch in der Falle. Der Rückweg könnte ihm durch die Explosion versperrt worden sein.
»Das sind Hermann-Göring-Steine«, flüsterte Zelig, auf die aus hellen Steinen gemauerte Wand deutend, die den Gang versperrte. »So nannten zumindest meine Eltern die weißen Zement-Ziegel, mit denen die Fluchtwege zwischen den Hausbunkern zugemauert wurden. Die konnte man im Bedarfsfall eintreten.«
Walde bedeutete dem Archäologen, still zu sein. Vorn schob sich Gabi vor Harry.
»Du musst nicht gleich in der ersten Woche wieder den Kopf hinhalten«, raunte sie ihm zu.
*
Ben trank Kaffee am Stehtisch einer kleinen Bäckerei. Durch die Schaufensterscheibe beobachtete er, wie Elmar, bekleidet mit einer bis zur Brust reichenden Anglerhose
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