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Marathon

Marathon

Titel: Marathon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Frangenberg
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ihm.
Schon als Jugendlicher war er eher mitgelaufen, hatte sich
mitnehmen und manches Mal verführen lassen, zu Dingen auf die
er wahrscheinlich selbst nie gekommen wäre. Er war leicht zu
begeistern, und weil er früher grundsätzlich zu wenig
nachgedacht hatte, begeisterten ihn auch Aussichten auf
Erfahrungen, die er später, nachdem er sie gemacht hatte,
bereute.
    Er konnte nicht sagen,
an welchem Zeitpunkt in seinem Leben er diesen Punkt erreicht und
überschritten hatte, an dem es keine Rückkehr gibt. Da
war die Entscheidung gefallen, so zu leben, wie er lebte. Die
Entscheidung, das beschissene Jura-Studium wirklich ernsthaft zu
Ende zu bringen, nicht mehr nach dem Sinn der Gesetze zu fragen,
sondern sie nur noch auswendig zu lernen. Die Entscheidung, in der
Frau, die er kennen gelernt hatte, die Frau fürs Leben zu
sehen, eine Hochzeit zu einem Lebensziel zu erklären. Die
Entscheidung, eine Lebensversicherung
abzuschließen.
    Das ist der Lauf der
Dinge, gegen den man sich nicht wehrt, dachte er. Diese
Entscheidungen fallen, ohne dass man es merkt. Einfach so, von
selbst. Irgendwann nimmt man seine Rolle an. Und bevor man's sich
versieht, ist's zu spät, etwas zu ändern.
    Weil er sich für
das alles zwar unbemerkt, aber doch klar entschieden und sich
damals keine Zeit zum Nachdenken gegönnt hatte, musste er
jetzt laufen, lang laufen, schnell laufen. Und bewusst
Entscheidungen treffen. Ändern konnte er nichts mehr, nur noch
gerade rücken, ein bisschen sortieren, ein bisschen ordnen, um
abzuschließen. Die nächste Aufgabe würde er heute
Abend hinter sich bringen, wenn er mit Marion essen ging, um
endlich zu tun, was lange überfällig war, und zwar mit
ihr Schluss zu machen.
    Ingo Gassmann rannte
los. Auf zur letzten Temporunde.

12
    Ferzi Yükel hatte
die Nase voll. Jeden Morgen derselbe Mist.
    »Warum
können die Leute nicht selbst ihren Müll
rausbringen?«, sagte er, als er den hellen Hof des ehemaligen
Fabrikgeländes betrat. »Bezahlen viel Geld für die
Putzfrauen und erlauben denen, die Müllsäcke rumstinken
zu lassen.«
    Er hatte sich schon
ein paar Mal bei den Mietern beschwert. Das gehörte nicht zu
seinen Aufgaben als Hausmeister. Doch die feinen Jungs in den
schicken Lofts hatten offenbar Besseres zu tun, als sich mit ihren
Putzfrauen auseinander zu setzen. »Mach du das doch«,
hatte ihm einer der Schnösel gesagt, und Yükel musste
schwer an sich halten, um ihm nicht ordentlich die Meinung zu
sagen. Was hatte er mit den Putzfrauen zu tun?
    Er ließ den
blauen Sack hinter sich die Treppe runterschleifen, den Abfall der
Werbeagentur im dritten Stock. Pizzareste, Verpackungen vom
China-Imbiss, Zigarettenkippen - Wohlstandsmüll eben. Die
Sonne war gerade aufgegangen. Der Hausmeister verweilte ein wenig
auf dem Treppenabsatz.
    Doch, das ist wirklich
schön geworden hier, sagte er zu sich selbst. Das helle
Weiß der Fassaden, die den Innenhof umschlossen, strahlte wie
Schnee. Die Fenster waren ausgetauscht worden: weißes Plastik
statt verwittertem Holz. An den Hauswänden waren Repliken
alter weißer Straßenlaternen angebracht. Yükel zog
mit dem blauen Sack über den Hof zu den großen
grünen Mülltonnen. Die passen gar nicht her, dachte er,
als er um die Ecke bog. Gerade wollte er sich auch noch über
den großen Pappkarton ärgern, den jemand einfach in den
Weg gestellt hatte, anstatt ihn in den Papiercontainer zu stopfen,
da entdeckte er den Mann in der Ecke. In sich zusammengesunken
saß er da zwischen Mülltonne und Karton, mit dem
Rücken zur Wand, die Hände im Schoß.
    »Hallo«,
rief Yükel. »Hallo, aufwachen.«
    Er hatte nichts gegen
Penner, die sich in den Hof legten. Das war nicht der erste, den er
wecken musste. Wenn die ganzen Werbefuzzis, Rechtsanwälte und
Design-Heinis nach Hause gegangen waren, durfte sich hier ruhig
jemand hinsetzen, der das Innere dieser schönen Häuser
wahrscheinlich nie im Leben sehen würde. Doch dieser
Übernachtungsgast wollte nicht aufwachen.
    Ferzi Yükel
tippte dem Mann an die Schulter, sprach ihn nochmals an, doch er
regte sich nicht. Der Hausmeister ließ den Müllsack los,
bückte sich und fasste den Mann an den Oberarmen. Als er ihn
ein wenig vorzog, fiel der Kopf des Unbekannten in den Nacken. Weit
aufgerissene Augen, in denen kein Leben mehr war, starrten ihn an.
Erschrocken ließ er los, sodass der Körper des Mannes
rücklings mit dem Hinterkopf gegen die Mauer knallte und zur
Seite wegsackte. Yükel blieb regungslos stehen, starrte

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