Marathon
nickte. »Vor
drei Jahren.«
Silvia Vosskamp war
eine wunderschöne, starke Frau. Franks Schwester war die Art
Frau, die stets alles souverän im Griff hatte,
einschließlich sich selbst. Deren Präsenz man
förmlich spüren konnte, wenn sie einen Raum betrat.
Obwohl gleich mehrere Sitzgelegenheiten zur Auswahl standen, war
Gröber aufgesprungen, um Silvia Vosskamp seinen Platz
anzubieten. Sie ignorierte ihn, zog einen Stuhl an den
Wohnzimmertisch und setzte sich direkt vor ihre Mutter, um wortlos
ihre Hand zu nehmen. Gröber vergaß, sich wieder
hinzusetzen.
Warum waren sie immer
von einem Mörder ausgegangen?, fragte sich Remmer still
angesichts der attraktiven Frau, die ohne sie zu grüßen,
Platz genommen hatte. So wie sie selbst genoss, Stärke zur
Schau zu tragen, hasste sie es, wenn ihr andere das Gefühl der
Unterlegenheit vermitteln wollten. Dass Gröber die Frau
angesichts ihres fast makellosen Gesichts mit offenem Mund
anstarrte, machte sie aus Remmers Sicht noch unsympathischer. Die
Vorstellung, dass eine starke, hassende Frau ihren Bruder umbrachte
und mit dem Blut des Opfers ein Zeichen an die Wand malte, gefiel
ihr. Sie ließ abschätzig ihren Blick über die Frau
gleiten, bis sie erleichtert feststellte, dass Vosskamps Beine
keine Chance hatten, mit ihren zu konkurrieren. So verkniff sie
sich die Frage »Haben Sie Ihren Bruder getötet?«
und sagte stattdessen nur: »Ihr Bruder ist vorgestern
ermordet worden.«
Die schöne Frau
ignorierte weiterhin die Anwesenheit der Polizei, kümmerte
sich nur um die Mutter, so als wenn sie bereits alles wüsste,
was Remmer ihr hätte erzählen können. Viel war das
ohnehin nicht.
»Wann haben Sie
ihren Bruder zuletzt gesehen?«
»Lange
her«, sagte sie abfällig. »Wir hatten uns nicht so
viel zu sagen.«
»Darf ich
fragen, warum?«
»Finden Sie das
passend jetzt?«, wies sie Remmer mit schroffer Stimme
zurecht.
Remmer ließ ein
paar Minuten verstreichen, ohne etwas zu sagen. Sie sah Silvia
Vosskamp zu, wie sie leise auf ihre Mutter einredete, sie im Arm
hielt und ihr schließlich half aufzustehen. Als die beiden
Frauen den Raum verließen, freute sich Remmer darüber,
dass Vosskamps Oberschenkel breiter als ihr Hintern waren. Ihr fiel
der Vorschlag des Pathologen ein, gemeinsam in Urlaub zu fahren.
Sie musste lächeln.
Gröber hatte
damit begonnen, den Raum zu inspizieren. Auf einer Kommode standen
die obligatorischen Familienfotos. Ein leicht vergilbtes Bild einer
glücklichen Familie aus den siebziger Jahren. Vater, Mutter
und zwei Kinder auf einer Bank vor einer Hütte in den Bergen.
Der Sohn war der Tote, keine Frage. Die Tochter hatte sich dagegen
sehr deutlich verändert, wie einige weitere Bilder
dokumentierten.
»Der Sohnemann
kommt hier ein bisschen zu kurz«, lautete Gröbers Fazit
der statistischen Auswertung der Bildergalerie, als Silvia Vosskamp
zurück in den Raum kam.
»Ich habe meine
Mutter zu Bett gebracht. Wenn Sie wollen, können Sie mich
jetzt noch etwas fragen«, sagte sie ruhig. »Mein Bruder
und ich haben uns nicht besonders gemocht. Ich glaube, wir fanden
uns beide gegenseitig ziemlich langweilig. Es gab nichts,
worüber es sich lohnte zu reden. Da haben wir's gelassen. Wie
ist er gestorben?«
»Lesen Sie keine
Zeitung?«, antwortete Gröber mit einer Gegenfrage.
»Da stand das drin. Unter einem Foto Ihres toten
Bruders.«
»Ich glaube
kaum, dass das Foto in der Zeitung abgedruckt war, die ich
lese.«
Das kam genau so an,
wies gemeint war: Diese Frau kaufte keine Zeitungen, die sich mit
dem piefigen Leben dieser Provinzstadt
beschäftigen.
»Er wurde
erstochen«, antwortete Remmer. »Ziemlich brutal
erstochen. In seiner Wohnung. Der Mörder hat ihn dann in die
Nähe des Chlodwigplatzes zur Bonner Straße gefahren, wo
man ihn am nächsten Tag im Kofferraum eines gestohlenen Autos
gefunden hat. Fällt Ihnen dazu was ein?«
»In der Bonner
Straße wohnt seine Ex-Freundin«, sagte sie so, als wenn
das völlig unwichtig wäre. »Karin Wiesberg
heißt die. Soll ganz nett sein, sagt meine Mutter. Aber auch
langweilig.«
Gröber und Remmer
sahen sich an. Das war doch mehr als nichts.
»Die Hausnummer
wissen Sie nicht zufällig?«, fragte Gröber,
während er wieder zu der Kommode ging, auf der ein Telefonbuch
lag.
»Nein«,
antwortete Silvia Vosskamp gelangweilt.
Gröber hatte
Karin Wiesberg schnell gefunden. »Es wäre ein bisschen
zu einfach gewesen, oder?«, fragte er die Kollegin.
»Sie wohnt in der Bonner Straße 84, und
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