Marathon
Badezimmer
angewidert hatte. »Gut, dass er sich gewehrt
hat.«
Er wusch die Klinge ab
und wischte sie mit Klopapier trocken. Das war eine Erfahrung, aus
der sich lernen ließ, während man sie machte. Volle
Konzentration, Aug in Aug, Auftrag erfüllt. Er war über
sich hinausgewachsen. Kraftbeweis. Ein Besoffener ist wie ein
wildes Tier, redete er sich ein. Nicht wie Vosskamp oder Leuschen,
diese Weicheier. Hier hatte er was fürs Leben gelernt,
entsprechend zufrieden war er mit dem Bild, das er diesmal im
Spiegel sah. Kein alter Mann, sondern einer, der die Reife
besaß, die Jugend hinter sich zu lassen. Dieser Wahn, mit dem
die Menschen hofften, die Tatsache verdrängen zu können,
dass ein kleines Menschenleben in über fünfzehn
Milliarden Jahren Geschichte der Materie nichts anderes ist als
eine winzige Sekunde. Anstatt sich über den Wert dieser kurzen
Zeit auf diesem Staubkorn in einem unermesslichen großen
Kosmos klar zu werden, klammert sich der Mensch an die
Millisekunde, die er Jugend nennt.
»Und die
vergeudet er auch noch«, sagte er zu seinem Spiegelbild.
»Er tut Dinge, die er sein ganzes Leben bereuen wird, ob er
will oder nicht.«
Er wusch sich die
Hände, trocknete die Armaturen ab und warf das Papier in die
Klospülung. Er löschte das Licht und ging zurück ins
Wohnzimmer. Michael Höllerbach saß tot auf seinem Sofa.
Freundschaftsdienst. Er vermied in die riesige Blutlache zu treten,
die sich auf dem Boden ausgebreitet hatte. Er hielt keine der vier
Wohnzimmerwände für geeignet. Deshalb ging er in die
Küche und suchte einen sauberen Spülschwamm. Er nahm eine
kleine Plastikschale, die er zwischen Müll und
ungespültem Geschirr fand, und kehrte zurück. Den Schwamm
zog er langsam durch die Lache, bis er sich voll gesogen hatte.
Anschließend wrang er ihn über dem Schälchen aus,
das sich langsam füllte. Als er genug Blut in der Schale
gesammelt hatte, warf er den Schwamm in die Zimmerecke und zog sich
zurück in die obere Etage des Hauses. Es war das
wunderschöne Bild im Schlafzimmer, das ihn anzog. Diesmal
keine weiße Wand, sondern Blut auf blauer Leinwand. Indem er
die geschmackvolle Schlafzimmereinrichtung zerstörte, wollte
er den schönen blauen Traum vom Meer vernichten, das er nie
mehr wiedersehen wollte. Er riskierte viel, das wusste er. So kann
man Spuren hinterlassen. Doch es war ihm egal. Er kniete sich auf
das Kopfkissen der ungemachten Betthälfte, tränkte seinen
Zeige- und Mittelfinger im Handschuh mit dem Blut Höllerbachs
und begann über das Bild zu malen. Sorgfältig zeichnete
er eine Drei und eine Null ins diffuse
Licht.
»Jetzt fehlt nur
noch eine«, murmelte er. »Bald ist alles
vorbei.«
24
»Er macht nicht
auf, was soll ich machen?«
Der junge Polizist,
den Remmer nach Merheim geschickt hatte, um Höllerbach
abzuholen, hatte ihre Besprechung unterbrochen. Sie hatten damit
begonnen, die gesammelten Daten über die Teilnehmer der
Geburtstagsfeier auszutauschen und zu diskutieren. Alle Personen
auf den Bildern waren Gymnasiasten, die meisten waren mit Vosskamp
zur Schule gegangen. Außer Vosskamp, Leuschen und
Höllerbach hatten sie einen weiteren Namen einem Menschen
zuordnen können, der in Köln wohnte. Der Rest war
verzogen. Gröber hatte bereits die zuständigen
Polizeipräsidien in den anderen Städten benachrichtigt
und ihnen einen Fragekatalog gefaxt. Eines der Mädchen auf den
Bildern schien nach Mallorca ausgewandert zu sein. Die spanische
Polizei sollte die Adresse herausbekommen und die Frau auffordern,
sich in Köln zu melden.
»Der
schläft seinen Rausch aus. Klingeln Sie
weiter.«
»Ich schelle
seit fünf Minuten, es tut sich nichts«, jammerte der
Kollege am anderen Ende der Leitung.
»Dieser
Höllerbach geht mir langsam auf die Nerven. Haben Sie mal
angerufen?«
»Ja. Es tut sich
nichts.«
»Gehen Sie mal
ums Haus, vielleicht können Sie ihn im Wohnzimmer in seiner
Müllhalde schlafen sehen. Ich bleibe dran.«
Sie konnte hören,
wie der Polizist stöhnte und über die Wiese schlurfte.
Dann durfte sie zuhören, wie der Mann gegen eine Scheibe
klopfte.
»Es tut sich
nichts. Man kann nichts sehen, die Vorhänge sind
vorgezogen.«
»Können Sie
eine Tür aufbrechen, ohne dass uns das hinterher teuer zu
stehen kommt?«, fragte Remmer. Die umstehenden Polizisten
mussten lachen.
»Nein, so was
hab ich nicht gelernt«, antwortete der arme Kollege in
Merheim.
»Verdammt noch
mal! Dann treten Sie die Tür eben ein. Ich
Weitere Kostenlose Bücher