Marathon
zwischen
fünfunddreißig und fünfundvierzig Jahre
alt.«
Gröber versuchte
immer wieder, sich das Gesicht des Mannes, den er verfolgt hatte,
in Erinnerung zu rufen. Er hätte schwören können,
dass der älter als fünfundvierzig Jahre gewesen
war.
Auch Psycho-Tanten
können sich irren, dachte er, hielt aber seinen
Mund.
Remmer ließ sich
auf einen freien Stuhl fallen und atmete tief durch.
»Was würde
passieren, wenn wir das dritte Opfer nicht finden? Vielleicht
sollten wir bewusst nicht nach ihm suchen, um seinen Plan zu
durchkreuzen«, schlug Gröber vor.
»Klingt gut. Wir
beenden eine Mordserie, indem wir uns weigern, die Leiche zu
suchen«, lockerte Chrischilles die mittlerweile doch recht
angespannte Stimmung im Raum auf.
»Ich glaube
nicht, dass das funktionieren würde«, entgegnete Remmer.
»Das Finden der Leiche gehört zwar zum Plan, genauso wie
er will, dass wir hier sitzen und uns den Kopf zerbrechen. Also
ärgert es ihn, dass wir Höllerbach nicht finden.
Letztendlich spielt es aber keine Rolle, denn über kurz oder
lang wird er schon gefunden werden. Er hat die Leichen nicht
versteckt, sondern so hingelegt, dass man sie finden soll. Diesmal
ist eben was dazwischengekommen, das die Sache verzögert. Mehr
nicht.«
»Und warum ruft
er dann an?«, fragte Gröber.
Remmer schaute ratlos
zu Stahlinger. Auch sie schien noch keine überzeugende Antwort
zu kennen.
»Also«,
schnaufte Gröber, »machen wir auch am Wochenende
Überstunden.«
»Es kann sein,
dass er die Polizei für sich laufen lassen will«,
überlegte die Psychologin. »Vielleicht ist es aber auch
doch nicht so egal, wann wir den Toten finden. Vielleicht ist es
wichtig, dass wir ihn zu einem bestimmten Zeitpunkt finden. Die
Zahlen deuten auf eine Reihenfolge, auch wenn sie für uns noch
keinen Sinn ergeben. Sie steigen an. Wer weiß, was da noch
kommen wird.«
»Also, was
machen wir? Machen wir das, was der intelligente und willensstarke
Spinner will?«, fragte Remmer.
Sie hatten
gegenüber den Medien die grausamen Details bewusst
verschwiegen. Die Geschichte war blutrünstig genug. Die
Information über einen Mann, der mit dem Blut seiner Opfer
Zahlen an Wände malt, während sie ausbluten, hätte
zu Panik und vielen unbequemen Fragen geführt. Remmer sah in
die Augen der Kollegen. Offenbar war sie die Einzige in diesem
Raum, die noch zögerte. Alle anderen sagten ihr wortlos: Sie
hätten die Zahlen längst veröffentlichen sollen. Es
war schon spät am Samstagabend. Die Redakteure der
Sonntagszeitungen würden sich freuen, jetzt noch einmal ihre
Texte umschreiben zu müssen.
»Was würde
passieren, wenn wir jetzt nach Hause gingen und nicht das tun, was
er will? Würde es unseren Mann in Panik versetzen? Würde
er noch einen Fehler machen?«, fragte sie die
Psychologin.
»Vielleicht. Es
könnte aber auch sein, dass er zu Reaktionen gezwungen wird, die
uns nicht so sehr gefallen könnten. Es wäre ein
Risiko.«
»Wird noch
jemand sterben?«
»So wie ich es
jetzt einschätze, würde ich sagen, er ist noch nicht
fertig. Es fehlt ein Abschluss. Vielleicht ist Höllerbach der
Abschluss. Aber um das sagen zu können, müssten wir ihn
finden.«
»Haben wir noch
eine Alternative zur Veröffentlichung?«
»Ich glaube
nicht. Wenn eintritt, was er gesagt hat, wissen wir danach nicht
nur, wo Höllerbach liegt, sondern kennen auch die Bedeutung
der Zahlen. Vielleicht wissen wir dann, ob er fertig ist oder
nicht. Vielleicht finden wir einen neuen Anhaltspunkt für das
Motiv.«
Remmer gab sich
geschlagen.
»Lösen Sie
die Rufbereitschaft aus. Lasst die Polizeireporter dieser Stadt zu
uns kommen«, beauftragte sie Chrischilles. »In einer
Stunde ist Pressekonferenz. Wir werden ein bisschen improvisieren
müssen. Gröber und Stahlinger, ihr werdet mir
Gesellschaft leisten. Der Rest geht nach Hause und schläft
eine Runde. Wir sehen uns morgen früh um acht Uhr
wieder.«
Damit war die
Sonderschicht am Sonntag beschlossene Sache. Diskutiert wurde
nicht. Remmer sah den Gesichtern ihrer Kollegen an, was sie ihnen
zumutete.
36
Ingo Gassmann traute
seinen Augen nicht, als er die Rollladen hochgezogen hatte. Der
Regen hatte sich vollständig verzogen, die letzten grauen
Wolken ließen sich von kräftigem Wind wegblasen.
Großreinemachen am Himmel für den großen Tag, den
die Stadt heute feiern wollte. Der Köln-Marathon hatte
mittlerweile Ähnlichkeit mit den Karnevalstagen, obwohl nach
wie vor nicht so viele Menschen an
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