Marathon
die er im Falle einer überhasteten Flucht hochrennen
musste. Vier Stockwerke waren zu überwinden, um dann über
einen kleinen Stahlträger und mit einem nicht ganz
ungefährlichen Sprung das Dach zu erreichen. Hier ließ
sich der Zielbereich optimal einsehen. Hier würde er sein
Opfer hundertprozentig treffen können. Kusnezow setzte sich in
aller Ruhe an den Rand des Dachs und begann das Gewehr
zusammenzubauen. Er schraubte das Zielfernrohr auf die
Präzisionswaffe, setzte sie auf das mitgebrachte Zweibein und
legte sich auf den Bauch. Während er die Wangenauflage
justierte, nahm er einige der Rollschuhfahrer ins Visier, die sich
in einer weiteren Startgruppe für ihren Lauf aufgestellt
hatten. Die meisten Inliner waren bereits auf der Strecke. Kusnezow
entdeckte einen jungen Mann, vielleicht ein bisschen jünger
als er, der sich im Gewühl vordrängelte. Er konnte durch
das Zielfernrohr sogar seine Augen sehen, die hektisch die
Konkurrenz beobachteten. Als die Läufer starteten, schob sich
der junge Mann schnell an die Spitze der Läufergruppe,
während ihm Kusnezow mit dem Zielfernrohr folgte. Er sah, wie
er eine Frau anrempelte, um an ihr vorbeizukommen, und folgte ihm
bis zur Rampe zur Deutzer Brücke. »Paff«,
zischte Kusnezow und sah den Mann stürzen. Hunderte
Läufer zogen an dem Mann vorbei, während er sich langsam
wieder aufrappelte. Das Vordrängeln hatte nichts genützt.
Er war einer der Letzten, die die Brücke erreichen
sollten.
39
Als Remmer ins
Büro stürmte, stand die versammelte Mannschaft
bereit.
»Wo ist
sie?«, brüllte sie in die Runde.
Chrischilles schob ihr
ein Telefon herüber und übergab ihr umständlich
einen Zettel mit einer langen Telefonnummer. Remmer verstand nicht
gleich.
»Sie lebt auf
Mallorca.«
»Was?«
»Ausgewandert.
Vor über zehn Jahren. Sie heißt jetzt Bühler, ist
verheiratet und hat zwei Kinder. Wir haben die spanische Polizei
eingeschaltet. Monika Bühler wartet jetzt auf deinen Anruf.
Große Lust, mit uns zu sprechen, hatte sie
keine.«
Remmer versuchte,
wieder zu Atem zu kommen, um in Ruhe zu überlegen, wie sie ein
Telefongespräch mit einer völlig unbekannten Frau
beginnen sollte, die irgendwann einmal drei Männer gekannt
hatte, die nun im Leichenschauhaus lagen.
»Was weiß
sie?«
Chrischilles zog die
Schultern hoch. »Wir haben ihr nichts gesagt. Aber auch auf
Mallorca gibt es deutsche Zeitungen und
Radiosender.«
Remmer wählte die
Nummer. Es dauerte über eine Minute, bis sich eine
Frauenstimme meldete. Remmer stellte sich mit umständlichen
Formulierungen vor, versuchte das Gespräch vorsichtig
einzuleiten.
»Wir ermitteln
in einem Fall, in den einige Männer verwickelt sind, mit denen
Sie früher viel zu tun hatten.«
Die Frau sagte nichts,
blieb auch stumm, als Remmer ihr die Namen der Toten nannte, ohne
die Morde zu erwähnen.
»Wir wissen,
dass Sie und eine gewisse Randy einmal viel mit den dreien zu tun hatten.«
Sie zögerte einen Moment. »Sie sollen sich mit okkulten
Geschichten beschäftigt haben, Rituale und so etwas, Dinge,
die man macht, wenn man jung ist.«
Das hätte man
geschickter machen können, dachte sie. Die Frau am anderen
Ende der Leitung schwieg weiter. Remmer konnte sie atmen
hören.
Sie beschloss, offener
zu sein. »Es ist nicht einfach, am Telefon über eine
lange Distanz über so etwas zu sprechen, die richtigen Worte
zu finden. Ist sicher nicht angenehm, an alte Geschichten erinnert
zu werden. Aber wir brauchen Ihre Hilfe.«
Sie gab Monika
Bühler ein wenig Zeit, obwohl es ihr schwer fiel. Sie wippte
ungeduldig von einem Fuß auf den anderen. Während sie
die Sprechmuschel zuhielt, fragte sie Chrischilles, ob Bühler
spanische Polizei im Haus hatte. Auch das wusste die Kollegin
nicht.
»Ich weiß
nicht, wie ich Ihnen helfen soll«, sagte Monika Bühler
schließlich so leise, dass Remmer sie fast nicht verstanden
hätte. »Ich habe niemanden aus der Zeit mehr gesehen
seit damals. Was ist mit den Jungs?«
Sie wusste also
nichts. Das erleichterte Remmer die Sache.
»Was heißt
das, seit damals?«
Wieder herrschte lange
Funkstille.
»Seit der Sache
mit Lisa. Ich bin weggelaufen und nie wiedergekommen. Ich wollte
niemanden mehr sehen.«
»Wer ist
Lisa?«
Remmer stellte das
Telefon laut, sodass die Kollegen im Zimmer mithören
konnten.
»Lisa Randberg.
Sie ist gestorben.«
»Randy,
natürlich, Randy.« Remmer gestikulierte wild, und die
Kollegen verstanden. Chrischilles schickte einen Kollegen in
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