Marathon
den
Aktenkeller. Sie selbst schmiss den Computer an, um nach Lisa
Randberg zu suchen. Die Polizeimaschine lief.
»Woran ist sie
gestorben?«
»Sie wissen gar
nichts, oder?«, fragte die Frau. Man konnte durch das Telefon
hören, wie sie mit den Tränen rang. »Sie ist
verblutet.«
Remmer schoss die
Hitze durch den Körper. Erst jetzt bemerkte sie Stahlinger,
die einige Schritte auf das Telefon zuging.
»Warum?«,
fragte sie vorsichtig.
Monika Bühler
atmete schwer, musste tief Luft holen, bevor sie antwortete.
»Sie wollte das nicht. Alle haben gesagt, sie hätte sich
umgebracht, aber sie wollte das nicht. Es war nur ein Spiel, ein
Test. Die Jungs wollten echtes Blut. Ich wollte nicht mitmachen,
weil's mir zu weit ging. Da hat Randy mich
ausgelacht.«
»Wo war
das?«
»Vor dem
Friedhof. Dem großen Friedhof in der Stadt, bevor wir
über die Mauer klettern wollten. Ich wollte da schon abhauen,
aber sie haben so lange auf mich eingeredet, bis ich mitgegangen
bin.«
Remmer wollte die
nächste Frage stellen, doch die Psychologin bremste sie mit
einem scharfen Blick.
»Lassen Sie
sie«, flüsterte sie.
Sie warteten. Nur die
Lüftungsgeräusche der Computer waren zu
hören.
»Wir haben ein
Grab ausgesucht. So eine Gruft«, redete Bühler
plötzlich überraschend fließend weiter. Sie sprach
jetzt deutlicher. »Da haben wir alles aufgebaut für das
Ritual. Alle haben diese Tabletten geschluckt, um ruhiger zu
werden. Frank hatte Haschisch dabei, ein anderer Rotwein
mitgebracht. Wir haben ein kleines Feuer gemacht, während sich
Randy Pullover und Unterhemd auszog und sich dann halbnackt auf den
Boden gelegt hat.«
Ihre Stimme wurde
lauter. Man konnte hören, wie sie den Tränen freien Lauf
ließ. Die Dämme brachen. Wahrscheinlich erzählte
Monika Bühler zum ersten Mal in ihrem Leben von dieser Nacht
auf dem Friedhof. Und das am Telefon.
»Wir hatten
einen großen Säbel mitgenommen, dessen Spitze in dem
Feuer erhitzt wurde. Reihum lasen wir Texte vor, einige auf Latein.
Wir waren sicher, dass es diesmal funktionieren würde. Wir
spürten, dass er diesmal zu uns kommen würde. Randy hat
gejault wie ein Hund, der geschlagen wurde. Mir wurde ganz
schlecht, ich musste mich
übergeben.«
Sie brach ab. Nur noch
ihr Schluchzen drang von Mallorca nach Köln.
»Erzählen
Sie weiter«, forderte Remmer sie vorsichtig auf. »Was
geschah dann?«
»Ich weiß
es nicht«, enttäuschte sie Bühler. »Ich bin
weggerannt, ich habe gekotzt und bin dabei gerannt. Wie
verrückt. Ich hatte furchtbare Angst. Alle waren wie in
Trance, völlig durchgedreht. Lisa hatte sich ihnen angeboten.
Sie wollte ihnen echtes Blut schenken. Ich habe nur noch diesen
Säbel gesehen und das Jaulen von ihr gehört. Den ganzen
Weg bis zu mir nach Hause. Da habe ich mir die Decke übers
Gesicht gezogen und mir geschworen, die fünf nie
wiederzusehen. Am übernächsten Tag habe ich von Lisas
Vater von ihrem Tod erfahren. Sie hatten sie im Rhein gefunden, im
Niehler Hafen angespült.«
Remmer hörte, wie
im Hintergrund ein Mann leise auf die Frau einsprach. Er forderte
sie auf, ihm den Telefonhörer zu geben.
»Es reicht
jetzt«, sagte schließlich eine feste Männerstimme.
»Geben Sie meiner Frau ein bisschen Zeit. Dann können
Sie noch einmal anrufen. Morgen vielleicht.«
Noch bevor Remmer
etwas entgegnen konnte, wurde die Verbindung unterbrochen. Sofort
wählte sie die Nummer ein weiteres Mal, doch sie erhielt nur
ein Besetztzeichen.
»Das war's wohl
für heute mit der Satansbraut aus dem sonnigen
Mallorca«, brummte sie. »Und wir frieren uns hier den
Arsch ab.«
Sie schleuderte ihre
Schuhe in die Ecke und ließ sich auf einen Drehstuhl fallen,
als der Kollege, den Chrischilles in den Keller geschickt hatte,
mit einer dünnen Akte unterm Arm zurück ins Büro
kam. »Lisa Randberg« stand mit einem schwarzen
Filzstift auf dem Aktendeckel geschrieben.
»Selbstmord.«
40
Gassmann schob sich
durch die Menschenmassen. Das hier war nichts für Leute mit
Platzangst. Um in den Startbereich des Marathons zu gelangen,
musste man sich mit Tausenden anderen Läufern durch einen
langen Straßentunnel unter der Hohenzollernbrücke
quetschen. Wenn hier Panik ausbrach, würde es Tote geben. Das
Stimmengewirr der vielen Menschen hallte von den Tunnelwänden
zurück und vermischte sich mit unverständlichen Ansagen,
die vom anderen Ende in die Unterführung schwappten. Es stank
widerlich nach feuchtem Polyester und Schweiß. Ein Irrer
schob
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