Marathon
mageren
Ermittlungsarbeit.«
»Sie war voll
gepumpt mit Drogen und Alkohol. Da macht man schon mal
unerklärliche Sachen.«
»Nackt?«
»Warum
nicht?«
»Und vorher hat
man noch Geschlechtsverkehr?«
»Das ist nicht
erwiesen, nur wahrscheinlich, steht hier.« Er blätterte
den Ordner auf und zitierte. »Der Zeitpunkt des letzten
Geschlechtsverkehrs ist nicht eindeutig festzustellen, weil die
Tote etwa vierundzwanzig Stunden im Wasser gelegen hat. Damals war
die Pathologie eben noch nicht so weit.«
»Man könnte
fast glauben, dass du der Arbeit unserer Kollegen auch heute noch
vertraust«, schnaufte die Kommissarin, während sie den
Boden unter dem Schreibtisch mit den Füßen abtastete, um
ihre Schuhe zu suchen.
»Das habe ich
nicht gesagt. Nur hatten die Kollegen keine Aussage einer Monika
Wengler. Sie wussten nichts von Friedhöfen, Säbeln und
Ritualen.«
»Ach. Und warum
nicht?«
Remmer erwartete keine
Antwort. Sie überzeugte sich gerade unter dem Schreibtisch
davon, dass ihre Schuhe tatsächlich nicht da waren.
»Ich muss sie
nebenan ausgezogen haben«, murmelte sie, als sie wieder
auftauchte.
»Wie machen wir
weiter?«, fragte Gröber.
»Sie hat gesagt,
dass sie mit den fünf nichts mehr zu tun haben wollte. Also
können wir mal annehmen, dass unser Freund Ingo Gassmann auch
mit dabei war, oder? Besuchen wir ihn.«
»Wonach suchen
wir? Wir haben eine Verbindung, aber haben wir auch schon ein
Motiv?«
Remmer stand auf und
schüttelte den Kopf. »Aber wir sind nah dran. Ich
spüre das.« Sie presste ihre Nase an die Scheibe, die
sie vom Großraumbüro trennte. »Wo sind die
Scheiß-Schuhe?«, murmelte sie, während sie durch
die Scheibe den Nachbarraum absuchte. Ihr Blick blieb an dem
Fernsehgerät hängen, das irgendein Kollege angeschaltet
hatte. Remmer sah aus einer Vogelperspektive eine bunte
Menschenmasse, die sich durch eine Straße quälte. Dann
fing eine Kamera jubelnde Leute am Straßenrand ein, bevor sie
auf schwitzende Körper schwenkte.
»Wir müssen
den Besuch bei Gassmann verschieben. Der läuft da mit. Hilf
mir die Schuhe suchen. Dann fahren wir zu den Eltern dieser Lisa.
Chrischilles hat ihre Adresse herausgefunden. Sie wohnen in
Poll.«
42
Der Start war ihm
immer besonders schwer gefallen. Dieses Geschubse und Geschiebe,
dieses langsame Trittfassen, ohne seinem Vordermann in die Hacken
zu rennen. Die Beine waren noch schwer, während der
Stoffwechsel mit der Arbeit begann. Das Kraftwerk kam nur
mühsam auf Touren: Phosphate wurden in die Muskeln gepumpt,
Kohlenhydrate verbrannt. Der Körper schien sich noch gegen die
vermehrte Sauerstoffzufuhr zu wehren. Er stellte sich vor, wie in
seinem Körper eine regelrechte Schlacht ausgetragen wurde. Das
Gute kämpfte gegen das Böse, während er an dem
gläsernen Walfisch vorbeilief, einem Kaufhaus, das der
Stararchitekt Renzo Piano für eine Textilkette entworfen
hatte. Die Sauerstoffradikale bliesen zum Angriff, sein
Muskelapparat stellte sich langsam auf die Belastung ein. Das
Läuferfeld, in dem er gestartet war, lockerte sich. Jetzt
hatte er mehr Platz, um seinen Rhythmus zu finden.
Ihn interessierte
nicht, was um ihn herum passierte. Mit all den Verrückten
wollte er nichts zu tun haben, obwohl ihm klar war, dass er ein
Teil von ihnen war. Als er vor zehn Jahren mit dem Laufen begonnen
hatte, wollte er die eigenen Leistungsgrenzen ausloten, das private
Olympia erleben, bei dem man nicht gegen andere, sondern nur gegen
sich selbst lief. Da glaubte er noch, mit der neuen sportlichen
Betätigung Individualität und Unabhängigkeit
auszudrücken, obwohl er doch letztendlich nichts anderes war
als ein Mitläufer in der immer größer werdenden
Masse der Läufer. Während des Trainings freute er sich
noch über die Exklusivität der Zugehörigkeit zu
einer ganz besonderen Spezies Mensch. Einer der mehr will als
andere. Doch dann, bei seinem ersten Marathon, als er in dem Meer
der Sportstudenten, Studienräte, Sesselfurzer und
Schwiegermütter mitlief, fühlte sich das schon ganz
anders an. Wer sich hier nicht verbrüdern wollte mit der
Mittelmäßigkeit, musste arrogant sein. Und das wurde er
schnell. Wenn er vorbeilief am Gejammer und der Euphorie der
anderen, musste er sich wegducken. Kein Blick nach links und
rechts. Nur geradeaus. Dem Ziel entgegen. Dann zahlte sich das
Training aus. Der Marathon als Beweis der persönlichen Kraft
und Willensstärke, nicht als simples Ziel eines neunmonatigen
Aufbauprogramms, an dessen Ende der
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