Marco Polo der Besessene 1
wären wir nicht einmal
am Leben geblieben, so daß man überhaupt Jagd auf uns
machen kann.«
»Es stimmt schon, daß du ungestüm bist, Marco«, sagte Onkel
Mafio. »Aber wenn jemand jedesmal erst lange alle Folgen
seines Handelns überlegte, würde er nicht sonderlich alt
werden und könnte kaum etwas im Leben vollbringen. Nico, ich
meine, wir können diesen glücklicherweise ungestümen jungen
Mann als unseren Gefährten behalten. Laden wir ihn nicht
sicher in Konstantinopel oder Venedig ab, sondern laß ihn
mitkommen bis nach Kithai. Freilich -du bist sein Vater. Es ist
an dir, das zu entscheiden.«
»Ich bin geneigt, dir zuzustimmen«, sagte mein Vater. Und zu
mir gewandt: »Wenn du denn mitkommen möchtest, Marco...«
Breit grinste ich ihn an. »Dann komm mit! Du hast es dir
verdient, daß wir dich mitnehmen. Du hast dich heute nacht
wacker gehalten.«
»Vielleicht sogar besser als nur wacker«, sagte mein Onkel
nachdenklich. »Dieser bracon veccho hat sich selbst den
Allerirregeleitetsten genannt. Könnte er damit nicht auch haben
andeuten wollen, daß er der Anführer von allen war? Der letzte
und regierende Sheikh ul-Jibal? Ein alter Mann war er ganz
gewiß.«
»Der Alte vom Berg?« entfuhr es mir. -»Den soll ich erschlagen
haben?« »Wer will das wissen?« sagte mein Vater. »Das werden wir höchstens dann erfahren, wenn die anderen hashishiyin uns einholen und es uns sagen. Ich bin nicht allzusehr darauf erpicht, es zu erfahren.«
»Sie dürfen uns nicht einholen«, erklärte Onkel Mafio. »Es ist schon sträflich nachlässig von uns gewesen, uns ohne Waffen außer unseren Arbeitsmessern so tief in fremdes Gebiet hineingewagt zu haben.«
Mein Vater sagte: »Sie werden uns nicht einholen, wenn sie keinen Grund haben, hinter uns herzusein. Wir brauchen nichts weiter zu tun, als den Grund dafür zu beseitigen. Sollen doch die nach uns Kommenden die kanvansarai einfach verlassen vorfinden. Laßt sie annehmen, der Wirt sei unterwegs -um ein Schaf für die Vorräte zu schlachten. Wer weiß, vielleicht dauert es Tage, bis die nächsten Gäste eintreffen -und noch ein paar Tage, ehe sie anfangen, sich Gedanken darüber zu machen, wo der Wirt wohl sein könnte. Bis überhaupt welche von den Irregeleiteten sich auf die Suche nach ihm begeben, und bis sie die Suche aufgeben und anfangen zu argwöhnen, daß nicht alles mit rechten Dingen zugehen kann, werden wir längst fort sein - so weit fort, daß sie uns nicht mehr nachspüren können.«
»Sollen wir Schönheit etwa mitnehmen?« fragte mein Onkel. »Und die Gefahr einer peinlichen Begegnung heraufbeschwören, ehe wir überhaupt ein wenig vorangekommen sind?« Mein Vater schüttelte den Kopf. »Aber wir können ihn auch nicht einfach den Brunnen hier hinunterwerfen oder ihn darin verstecken oder begraben. Jeder Gast, der hier eintrifft, wird als erstes nach dem Wasser sehen.
Und jeder Araber hat eine Nase wie ein Spürhund, um ein Versteck oder frisch aufgebrochene Erde zu erschnüffeln.« »Nicht an Land und nicht im Wasser«, sagte mein Onkel. »Es
gibt nur eine einzige Möglichkeit. Und das bringe ich besser hinter mich, solange ich noch nichts am Leib habe.«
»Ja«, erklärte mein Vater und wandte sich mir zu. »Marco, such im ganzen Gebäude nach Wolldecken, um die zu ersetzen, die dein Onkel jetzt nicht mehr benutzen kann. Und wenn du schon dabei bist, sieh zu, ob du nicht irgendwelche Waffen findest, die wir mitnehmen können.«
Diesen Auftrag erteilte er mir offenbar nur, um mich aus dem Weg zu haben, während sie taten, was sie tun mußten. Und für mich dauerte es eine ganze Weile, ihm nachzukommen, denn die kanvansarai war alt, muß schon eine ganze Reihe von Besitzern gehabt haben, von denen ein jeder neu angebaut hatte. Das Hauptgebäude war ein Fuchsbau von Gängen und Räumen und Kammern und Nischen; doch außerdem gab es noch Ställe und Unterstände, Schafpferche und andere Häuser draußen. Doch der alte Mann hatte sich mit seinen Drogen und seiner Verschlagenheit offensichtlich sicher gewähnt, denn er hatte sich keine große Mühe gemacht, seine Habseligkeiten zu verstecken. Und nach dem Waffenarsenal und den Vorräten zu urteilen, hätte er durchaus der Alte vom Berge sein können oder zumindest der Hauptlieferant für die mulahidat. Als erstes wählte ich zwei gute Decken aus einem beträchtlichen Stapel aus. Dann suchte ich unter den Waffen, und wiewohl ich keine geraden Säbel fand, wie wir
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