Marco Polo der Besessene 1
im Hause hungern müssen -ihm muß jede Gastfreundschaft und jede Sicherheit zuteil werden, solange er sich unter deinem Dache aufhält. Da ich gegen dieses heilige Gesetz verstoßen habe, hätte ich ohnehin jedes Recht auf eine Nacht des Möglichen verwirkt, auch dann, wenn ich am Leben geblieben wäre. In meiner Habgier habe ich übereilt gehandelt und habe gesündigt; für diese Sünde bitte ich jetzt um Verzeihung.«
Ich wollte zum Ausdruck bringen, daß ich ihm vergäbe, mußte jedoch dermaßen schniefen, daß ich nicht reden konnte, und darüber war ich gleich darauf froh, denn er fuhr fort:
»Ich hätte ohne weiteres Drogen unter Euer Frühstück mischen und Euch eine Weile weiterziehen lassen können, bis Ihr zusammengebrochen wäret. Dann hätte ich Euch ausrauben und unter freiem Himmel ins Jenseits befördern können, und es wäre eine gute Tat gewesen, die Allah wohlgefällig gewesen wäre. Aber das habe ich nicht getan. Wenngleich ich mein ganzes Leben bisher fromm und nach den Gesetzen unseres Glaubens verbracht und zur größeren Ehre der Religion eine Menge Ungläubiger erschlagen habe, wird dieser eine Vorstoß mich das ewige Leben im Paradies der djennet mit ihren haura-Schönheiten, der ewigen Glückseligkeit und dem Genuß ohne Reue kosten. Und diesen Verlust bedaure ich aufrichtig. Ich hätte Euch umbringen sollen, als ich noch im Zustand der Gnade lebte.«
Nun, diese Worte bewirkten zumindest, daß ich aufhörte zu weinen. Versteinert sahen wir alle den Wirt an, als dieser fortfuhr:
»Freilich könnt Ihr selbst Euch in der Tugend üben. Wenn ich gestorben bin, tut mir den Gefallen und wickelt mich in eine Stoffbahn ein. Tragt mich in den Hauptraum der karwansarai und legt mich dort auf die vorgeschriebene Weise nieder. Windet mir den Turban ums Haupt und um mein Gesicht und legt mich dergestalt nieder, daß meine Füße nach Süden weisen auf die heilige Kaaba in Mekka.«
Mein Vater und mein Onkel sahen einander an und zuckten mit den Achseln, doch waren wir alle drei froh, nichts versprochen zu haben, denn der alte Bösewicht sprach jetzt seine letzten Worte:
»Habt ihr das getan, ihr räudigen Hunde, werdet ihr tugendhaft sterben; denn wenn meine Brüder von der mulahidat kommen und mich tot und mit einem Dolch in den Eingeweiden finden und den Fährten eurer Pferde folgen und euch zur Strecke bringen, werden sie tun, was ich nicht geschafft habe zu tun.
Salaam alaikum.«
Seine Stimme war in keiner Weise kraftlos geworden, doch nachdem er völlig widernatürlich Frieden auf uns herabgefleht, schloß Schönheit des Glaubensmonds die Augen und verschied. Und da dies das erste Totenbett war, neben dem ich stand, lernte ich jetzt, daß die meisten Tode genauso häßlich sind wie die meisten Morde. Denn beim Hinübergehen leerte Schönheit höchst unschön und reichlichst sowohl die Blase als auch die Eingeweide, beschmutzte seine Kleider und die Wolldecken und erfüllte die Luft mit einem pestilenzialischen Gestank.
Etwas abstoßend Würdeloses ist wirklich nichts, an was die Menschen sich beim Tod eines anderen Menschen vor allem erinnern sollten. Nur habe ich seither an so manchem Sterbelager gestanden und -mit Ausnahme jener Fälle, wo zuvor die Möglichkeit eines Klistiers gegeben gewesen war jedesmal war es so, daß die Menschen auf diese Weise Abschied vom Leben genommen haben; auch die stärksten und kühnsten Männer und die schönsten und reinsten Frauen, gleichgültig, ob sie eines gewaltsamen Todes sterben oder heiter entschlafen.
Wir traten zur Kammer hinaus, um reine Luft einzuatmen, und mein Vater sagte aufseufzend:
»Und was nun?« »Vor allem«, sagte mein Onkel und nestelte die Riemen los, mit dem er die Moschusbeutel festgebunden hatte, »befreien wir uns erst einmal von diesem unbequemen Gebaumel. Jetzt ist ja
klar, daß die Beutel bei unserem anderen Gepäck genausogut
aufgehoben sind - jedenfalls nicht weniger sicher, als wenn wir
sie am Leib trügen. Außerdem muß ich sagen, daß ich lieber
diesen Moschus verliere, als mein eigenes kostbares Gehänge
in Gefahr zu bringen.«
Mein Vater brummte: »Sich um seine Eier Sorgen machen, wo
es um unseren Kopf geht!«
Und ich sagte:
»Tut mir leid, Vater, Onkel. Wenn es uns beschieden sein
sollte, von den überlebenden Irregeleiteten gejagt zu werden,
war es falsch, diesen hier zu erstechen.«
»Unsinn«, sagte mein Vater. »Wärest du nicht aufgewacht und
hättest du nicht schnellstens gehandelt,
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