Marco Polo der Besessene 1
rötlichgelben Bärten, die hinter Brettern mit sorgsam geglättetem Sand darauf hockten. Ein Kunde zahlte eine Münze, schüttelte das Brett dergestalt, daß sich der Sand zu welligen Mustern zusammenfügte, aus denen der alte Mann das Schicksal des Betreffenden herauslas. Außerdem gab es viele Derwische, heilige Bettler, die genauso abgerissen, schorfbedeckt und verfilzt aussahen wie in jeder anderen Stadt im Osten. Hier in Baghdad wiesen sie jedoch noch ein zusätzliches Attribut auf: Sie tanzten, vollführten Sprünge und heulten, wirbelten herum und verkrampften sich so heftig wie ein vom Veitstanz Gepackter bei einem Anfall. Das war, möchte ich meinen, zumindest unterhaltsam, eine Entschädigung für den bakhshish, nach dem sie heischten.
Noch ehe ich irgendwelche Waren auf dem bazär genauer in Augenschein nehmen konnte, mußte ich mich von einem Marktbeamten ausfragen lassen, der Steuereinnehmer genannt wurde; erst mußte ich ihn davon überzeugen, daß ich im Besitz der Mittel war zu kaufen und außerdem auch noch die jizya zu bezahlen, eine Steuer, die nichtmuslimische Verkäufer wie Käufer gleichermaßen entrichten mußten. Obwohl wazir Jamshid selbst Hofbeamter war, vertraute er mir insgeheim an, daß alle diese kleinen Beamten und Bediensteten von den Leuten verachtet und batlamm genannt wurden, was soviel hieß wie ›Müßiggänger‹. Als mein Vater diesem Müßiggänger einen Beutel Moschus vorwies -wahrhaftig Reichtum genug, um zumindest ein Shahi-Spiel zu kaufen -, brummelte der Steuereinnehmer mißtrauisch:
»Von einem Armenier habt Ihr das, sagt Ihr? Dann enthält es wahrscheinlich nicht richtigen Moschus, sondern gehackte Leber. Das muß untersucht werden.«
Mit diesen Worten holte der Müßiggänger Nadel und Faden sowie eine Knoblauchzehe hervor. Er fädelte den Faden ein und führte beides mehrere Male durch die Knoblauchzehe, bis der Faden sich mit dem Knoblauchgeruch vollgesogen hatte. Dann nahm er den Moschusbeutel, führte Nadel und Faden nur ein einziges Mal hindurch, schnupperte daran und machte ein erstauntes Gesicht.
»Der ganze Geruch ist verschwunden, vollkommen aufgenommen. Wahrlich, was Ihr da habt, ist echter Moschus. Wo um alles auf der Welt seid Ihr einem ehrlichen Armenier begegnet?« Mit diesen Worten überreichte er uns einen ferman, einen Brief, mit dem wir ermächtigt wurden, im bazär von Baghdad Handel zu treiben.
Jamshid brachte uns zum Sklavenpferch eines persischen Händlers, von dem er behauptete, er sei vertrauenswürdig. Dort standen wir in der Menge mit anderen mutmaßlichen Käufern und Leuten, die sich nur umsahen, während der Händler sich ausführlich über Herkunft, Geschichte, Eigenschaften und Verdienste eines jeden Sklaven ausließ, den seine kräftigen Helfer vorführten.
»Hier haben wir es mit einem Normal-Eunuchen zu tun«, sagte er und führte einen beleibten und fettglänzenden Schwarzen vor, der für einen Sklaven recht fröhlich dreinschaute. »Garantiert friedlich und folgsam; es ist nicht bekannt, daß er jemals mehr als das Erlaubte gestohlen hätte. Ausgezeichnet als Diener geeignet. Haltet Ihr jedoch Ausschau nach einem richtigen Beschließer -hier habt Ihr den vollkommenen Eunuchen.« Mit diesen Worten präsenti erte er einen Weißen, blond und muskulös und durchaus hübsch anzusehen, aber vom Ausdruck her schwermütig, wie von einem Sklaven nicht anders zu erwarten. »Bitte, tretet näher und begutachtet die Ware.«
Mein Onkel sagte zum wazir. »Ich weiß selbstverständlich, was ein Eunuch ist. Schließlich haben wir bei uns daheim auch Verschnittene -Knaben mit glockenhellen Stimmen, aus denen man castrom gemacht hat, damit ihre Stimmen ihr Leben lang glockenhell bleiben. Aber wie kann man ein völlig geschlechtsloses Wesen als ›normal‹ oder ›vollkommen‹ einstufen? Liegt das daran, daß es sich bei dem einen um einen Äthiopier handelt und bei dem anderen um einen Russniaken?«
»Nein, Mirza Polo«, sagte Jamshid und erklärte es genauer auf sabir, damit uns die unvertrauten Farsiworte nicht verwirrten. »Der Normal-Eunuch wird noch als Kleinkind seiner Hoden beraubt, damit er fügsam und gelehrig aufwächst und nicht aufsässig wird. Das Verschneiden geht ganz einfach vor sich. Man bindet den Hodensack des Kindes mit einem Faden ab, woraufhin dieser im Laufe weniger Wochen verdorrt, sich schwarz verfärbt und schließlich abfällt. Das genügt, einen guten und vielseitig verwendbaren Diener aus ihm zu machen.«
»Was
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