Marco Polo der Besessene 1
totgeschlagen.«
Erschrocken schwiegen wir, und die Situation hätte vollends unbehaglich werden können, hätte Jamshid nicht geradezu beiläufig hinzu-' gefügt: »Ach, was soll ich mich beklagen? Vielleicht wäre ich sonst bis heute ein armer Hirsebauer geblieben. Da man mich jedoch von den natürlichen Wünschen des Mannes befreit hat -dem Wunsch, zu säen, Land zu bebauen und eine Familie zu gründen -, wurde ich freigesetzt, statt dessen meinen Geist zu kultivieren. Jetzt bin ich
aufgestiegen und wazir des Shahinshah von Persien geworden,
und das ist nicht wenig.«
Nachdem er das Thema auf so freundliche Weise hatte
fallenlassen, rief er den Sklavenhändler heran, damit dieser
sich unser Begehr anhöre. Der Händler überließ es seinen
Helfern, sich weiter um die angepriesene Ware zu kümmern,
und kam lächelnd und sich die Hände reibend auf uns zu.
Mehr oder weniger hatte ich gehofft, mein Vater werde mir eine
hübsche Sklavin kaufen, die mehr als nur Dienerin für mich
wäre -oder zumindest einen jungen Mann meines Alters, der
mir ein gleichgesinnter Gefährte sein könnte. Doch
selbstverständlich erklärte er dem Händler nicht, was ich mir,
sondern was er sich für mich wünschte.
»Einen reiseerfahrenen älteren Mann, der aber noch wendig
genug ist, weitere Reisen zu unternehmen. Innig vertraut mit
der Lebensweise des Ostens, damit er meinen Sohn sowohl
beschützen als auch in dieses Leben einführen kann. Und ich
meine, ein Verschnittener sollte es nicht sein.« Letzteres mit
einem mitfühlenden Seitenblick auf den wazir. »Ich möchte von
mir aus nicht gerade dazu beitragen, daß diese Praxis ewig
fortgesetzt wird.«
»Da habe ich genau den richtigen Mann für Euch, messieurs«,
erklärte der Sklavenhändler in flüssigem Sabir. »Reif, aber noch
nicht alt, schlau, aber nicht eigensinnig, erfahren, aber nicht
widerborstig, wenn ihm etwas zu tun aufgetragen wird. Ja, aber
wo steckt er nur? Gerade eben war er doch noch hier...«
Wir folgten ihm durch seine Herde -oder vielmehr Herden,
denn er hielt eine stattliche Anzahl von Sklaven in seinem
Pferch - übrigens zusammen mit einer Reihe jener winzigen
hinna-gefärbten kleinen persischen Pferde, die seine
geschlossenen Wagen von Ort zu Ort zogen. Der Pferch als
solcher wurde zum Teil von einem Lattenzaun, zum Teil von
ebendiesen leinwandbespannten Wagen gebildet, die ihm und
seinen Helfern sowie seiner Ware tagsüber als Reisegefährt
und nächtens als Schlafgelegenheit dienten.
»Der ideale Sklave für Euch, messieurs«, fuhr der Händler fort, während er sich weiterhin suchend umblickte. »Er hat schon einer ganzen Reihe von Herren gehört, folglich ist er weit herumgekommen und kennt viele Länder. Er spricht mehrere Sprachen und verfügt überhaupt über eine Fülle von nützlichen Fertigkeiten. Aber wo mag er nur stecken!«
Wir gingen weiterhin unter seinen Sklaven und Sklavinnen herum, die mit Fußringen an einer langen Kette aneinandergefesselt waren. Die Zwergpferde durften frei herumlaufen. Der Sklavenhändler schien nachgerade peinlich berührt, ausgerechnet jenen Sklaven nicht zu finden, den er uns verkaufen wollte.
»Ich hatte ihn losgekettet«, murmelte er, »und mit einer meiner
Stuten zusammengeschäkelt, die er für mich striegeln sollte...« Ein lautes, langgezogenes und durchdringendes Gewieher unterbrach ihn. Mit wehender gelbroter Mähne und ebensolchem Schweif kam ein kleines Pferd durch die vorn herunterhängenden Leinwandlappen eines der Planwagen hindurchgeschossen. Für einen Augenblick flog es buchstäblich durch die Luft wie jenes Zauberpferd aus Glas, von dem die Shahryar Zahd uns erzählt hatte, denn schließlich mußte es vom Boden des Wagens im Inneren hinwegsetzen über die Sitzbank des Wagenlenkers und das Schutzbrett vorn, um auf den Erdboden hinunterzuspringen. Während es im hohen Bogen durch die Luft segelte, kam eine an seiner Hinterhand befestigte Kette in nicht minder schön geschwungener Bahn hinterher, und am anderen Ende der Kette kam ein Mann mit den Füßen voran durch die Leinwandlappen hindurchgeschossen, als wäre er ein Kork, den man aus einem Flaschenhals herauszog. Der Mann flog über Sitzbank und Schutzbrett hinweg und landete mit dumpfem Aufprall in einer Wolke Staub auf dem Boden. Da das kleine Pferd jedoch versuchte, noch weiter zu fliehen, wurde der Mann über die Erde geschleift und wirbelte noch mehr Staub auf, ehe der Sklavenhändler
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