Marco Polo der Besessene 1
und...
Streng unterbrach mein Vater mich mit einem Sprichwort: »Rückwärts sieht man besser als vorwärts. Wir werden keinen Vormund für dich einsetzen, mein Junge. Immerhin aber halte ich es für eine gute Idee, einen Leibsklaven für dich zu kaufen, der sich um dich kümmert und dafür sorgt, daß dir nichts zustößt. Laßt uns den bazär aufsuchen.«
Der schwermütige wazir Jamshid begleitete uns, um den Dolmetsch für uns zu machen, falls unser Farsi nicht ausreichte. Unterwegs erklärte er mir eine ganze Reihe von merkwürdigen Dingen, die ich zum ersten Mal sah. So bemerkte ich zum Beispiel, als ich mir die Männer unterwegs genauer ansah, daß sie ihre blauschwarzen Barte nicht ergrauen oder gar weiß werden ließen, wie das im Alter ganz natürlich ist. Jeder ältere Mann, den ich sah, hatte einen Bart von grellrosa bis rötlichgelber Farbe wie der Shiraz-Wein. Jamshid sagte mir, diese Färbung erreiche man mit den Blättern des hinna-Strauchs; außerdem erklärte er mir, hinna werde zu Zwecken der Schönheitspflege auch von den Frauen benutzt -und von den Kärrnern, die ihre Pferde damit verschönerten. Bei dieser Gelegenheit sollte ich vielleicht einfügen, daß die Pferde, die man in Baghdad vor Karren und Wagen spannt, nicht zu der edlen Araberrasse jener Rosse gehörten, die zum Reiten benutzt werden. Man nimmt dafür vielmehr sehr kleine Pferde, die nicht viel größer sind als Bullenbeißer-Hunde, doch sehen sie mit ihrer leuchtend gelblich rosa gefärbten, wehenden Mähne und dem Schweif sehr hübsch aus.
Auf den Straßen Baghdads begegneten einem beileibe nicht nur Perser, sondern Menschen aus aller Herren Länder. Manche trugen abendländische Kleidung und hatten Gesichter wie wir -die also weiß gewesen wären, hätte die sengende Sonne sie nicht gebräunt. Manche hatten schwarze, manche braune Gesichter; wieder andere hatten gerbsäuregelbe Gesichter, und bei vielen sah die Gesichtshaut in der Tat verwittert aus wie altes gegerbtes Leder. Das waren die Gesichter der Besatzer, der Mongolen, die hier ihre Garnison hatten -sie wiederum angetan mit Kollern aus Lackleder oder Kettenpanzern; hochmütig stolzierten sie durch die von Menschen wimmelnden Gassen und schoben jeden beiseite, der ihnen im Weg war. Aber auch Frauen der unterschiedlichsten Hautfarbe gab es auf den Straßen zu sehen, die Perserinnen unter ihnen nur leicht verschleiert, Angehörige anderer Völker überhaupt ohne chador, schon ein seltener Anblick in einer muslimischen Stadt. Doch selbst im freizügigen Baghdad ging keine Frau allein
aus dem Haus; gleichgültig, welcher Rasse oder Nationalität, wurde sie stets von einer oder mehreren anderen Frauen oder einem männlichen Bediensteten von beträchtlichem Leibesumfang und ohne jeglichen Bartwuchs begleitet.
Der bazär von Baghdad war so überwältigend, daß es kaum vorstellbar war, daß die Stadt von den Mongolen erobert, geplündert und tributpflichtig gemacht worden war. Er muß sich löblich rasch von den Drangsalen der jüngsten Vergangenheit erholt haben, denn er war das reichhaltigste und blühendste Handelszentrum, das ich bis jetzt erlebt hatte, und übertraf bei weitem -was Vielfalt, Fülle und Wert der zum Verkauf stehenden Waren betrifft - jeden Marktplatz in Venedig.
Die Tuchhändler standen stolz unter Garndocken und Ballen von Geweben aus Seide, Wolle, Ziegenhaar aus Angora, aus Baumwolle und Leinen, feinem Kamelhaar und rauhem Kamelott. Es gab auch exotischere Gewebe wie etwa Musselin aus der Stadt Mossul aus dem Zweistromland, Kattun aus Indien und Buckram aus Buchara und Damast aus Damaskus. Die Buchhändler boten Bände aus feinem Velin -Pergament und Papier feil, herrlich geschrieben und mit Blattgold verziert. Da es sich bei der Mehrzahl der Bücher um Abschriften der Werke persischer Autoren wie Firdausi und Saadi handelte, die in der wurmartig-verschlungenen arabischen Schrift wiedergegeben waren, konnte ich sie selbstverständlich nicht lesen. Eines jedoch, das den Titel Iskendemame trug, erkannte ich aufgrund der Buchmalereien darin; offenbar handelte es sich um eine persische Fassung meiner Lieblingslektüre, des
Alexanderromans.
In den Läden der Heilmittel-und Kräuterhändler gab es eine Fülle von Krügen, Tiegeln und Phiolen mit Heil-und Schönheitsmitteln für Frauen ebenso wie für Männer: schwarzen alkohl und grünes Malachit, braunen Sumach und rotes hinna sowie Wässer, welche die Augen zum Strahlen bringen, Duftwässer aus Narden
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