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Marco Polo der Besessene 1

Marco Polo der Besessene 1

Titel: Marco Polo der Besessene 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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Jungen auf einmal zurückschlagen, während sie zu fünft auf mich eindroschen. So dauerte es nicht lange, und ich keuchte mir die Lunge aus dem Leib, während sie mir die Arme auf den Boden drückten. Ich lag einfach da und wurde durchgewalkt und geknetet wie Nudelteig.
    »Laßt ihn los!« ließ eine Stimme sich hinter dem Haufen meiner Widersacher vernehmen.
    Bei der Stimme handelte es sich bloß um ein piepsendes Falsett; gleichwohl war sie laut und offenbar befehlsgewohnt. Die fünf Jungen hörten auf, mich zu bearbeiten, und -wenn auch widerwillig -einer nach dem anderen ließ von mir ab. Selbst als mich nichts mehr behinderte, mußte ich noch einen Moment liegenbleiben und sehen, dass ich wieder zu Atem kam, ehe ich aufstehen konnte.
    Die anderen Jungen traten von einem bloßen Fuß auf den anderen und richteten mißmutig die Blicke auf die Besitzerin der Stimme. Was mich verwunderte, war, dass sie einem Mädchen gehorchten. Sie war abgerissen wie die anderen und stank nicht minder als sie, war aber kleiner und jünger. Sie trug das kurze, enge, röhrenförmige Kleid, das alle venezianischen Mädchen im Alter von zwölf Jahren tragen -vielleicht sollte ich jedoch sagen: Sie trug die Überreste eines solchen Kleides. Dieses war dermaßen zerfetzt, dass sie geradezu unanständig nackt gewirkt hätte, nur dass dasjenige, was von ihrem Leib zu sehen war, die gleiche schmutziggraue Farbe aufwies wie ihr Kleid. Vielleicht zog sie ein gewisses Maß an Autorität aus der Tatsache, dass sie - und zwar sie allein -die pantoffelähnlichen hölzernen tofi der Armen anhatte.
    Das Mädchen trat nahe an mich heran und strich mütterlich über meine Kleidung dahin, die sich jetzt nicht sonderlich von ihrer eigenen unterschied. Dabei erklärte sie mir, sie sei die Schwester des Jungen, dem ich die Nase blutig geschlagen hätte.
    »Mama hat Boldo eingebleut, nie zu raufen«, sagte sie, um dann hinzuzusetzen: »Und Papa hat ihm eingeschärft, seine Raufereien immer ohne Hilfe anderer auszufechten.«
    Schwer atmend sagte ich: »Hätte er doch nur auf sie gehört!«
    »Meine Schwester lügt! Wir haben gar keine Mama und keinen Papa.« »Wenn wir aber Eltern hätten, wäre das genau das, was sie dir
    sagen würden. Und jetzt heb den Fisch auf, Boldo. Es war schwierig genug, ihn zu stehlen.« Zu mir gewandt sagte sie: »Wie heißt du? Er ist Ubaldo Tagiabue, und ich bin Doris.«
    Tagiabue heißt soviel wie »Gebaut wie ein Ochse«, und in der
    Schule hatte ich gelernt, Doris sei die Tochter des heidnischen
    Gottes Oceanus. Diese Doris hier war so erbarmungswürdig
    mager, dass sie diesen Vornamen nicht verdiente, und
    außerdem so schmutzig, dass sie nie einer Wassergottheit
    hätte ähneln können. Gleichwohl wirkte sie standhaft wie ein
    Ochse und gebieterisch wie die Göttin, als wir dastanden und
    zusahen, wie ihr Bruder gehorsam hinging und den Fisch
    aufhob. Das heißt, aufheben konnte er ihn nicht so ohne
    weiteres, denn im Laufe unserer Rauferei war mehrmals auf ihn
    getreten worden, so dass er ihn mehr oder minder
    zusammenklauben mußte.
     
    »Du mußt etwas sehr Schlimmes getan haben«, sagte Doris zu
    mir, »wo du ihn dazu gebracht hast, mit unserem Abendessen
    nach dir zu werfen.«
     
    »Ich habe überhaupt nichts getan«, erklärte ich
    wahrheitsgemäß. »Bis ich ihn schlug. Und das habe ich nur
    deshalb getan, weil er mich cavron schimpfte.«
     
    Sie setzte ein belustigtes Gesicht auf und fragte: »Weißt du,
    was das heißt?«
     
    »Ja, es heißt, dass man kämpfen muß.«
    In ihren Augen blitzte es noch belustigter auf, und sie sagte:
    »Ein cavron ist jemand, der seine Frau anderen Männern
    überläßt.«
     
    Ich überlegte, warum das Wort dann, wenn das alles war, was
    es bedeutete, eine so tödliche Beleidigung sein sollte.
    Schließlich kannte ich etliche Männer, deren Frauen
    Waschfrauen und Näherinnen waren, deren Dienste von vielen
    anderen Männern in Anspruch genommen wurden, ohne dass
    das irgendwelchen öffentlichen Aufruhr erregte oder gar eine
    private vendeta zur Folge hatte. Als ich einige entsprechende
    Bemerkungen in dieser Hinsicht fallenließ, brach Doris in
    Lachen aus.
     
    »Marcolfo!« rief sie höhnisch aus. »Es bedeutet, dass die
    Männer ihre Kerze in die Scheide der Frau stecken und sie
    zusammen den Veitstanz
     
    tanzen.« Zweifellos durchschaut jeder, was wiederum mit diesen Ausdrücken gemeint ist, und so werde ich mich nicht entblöden, Euch das wunderliche Bild auszumalen,

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