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Marco Polo der Besessene 1

Marco Polo der Besessene 1

Titel: Marco Polo der Besessene 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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immer wiederkehrenden Zeiten der Not beizustehen oder jedenfalls einem handfest zu beweisen, daß es ihn wirklich gab. Gibt es ihn also, und wenn ja, wer ist er? Gebietet er wirklich über ein fernes christliches Reich, und wenn ja, wo liegt dieses?
    Ich habe bereits in den früher erschienenen Berichten über meine Reisen Spekulationen darüber angestellt, daß es den Prete Zuäne in einem gewissen Sinne gegeben hat und vielleicht immer noch gibt -daß es sich jedoch bei ihm nie und nimmer um einen christlichen Potentaten handelt.
    Früher, in der Zeit, da die Mongolen nichts weiter waren als ein Haufen nebeneinanderherlebender und schlecht organisierter Stämme, nannten sie jeden Stammeshäuptling einen Khan. Als die vielen Stämme unter dem furchtgebietenden Chinghiz zusammengefaßt und vereinigt wurden, wurde er zu dem einzigen Alleinherrscher des Ostens, der über ein Reich gebot, das dem glich, über das -so man den Gerüchten Glauben schenkt - besagter Prete Zuäne oder Prester John oder Priester Johannes gebieten sollte. Seit der Zeit des Chinghiz ist dieses Mongolen-Khanat in Teilen oder im Ganzen von verschiedenen seiner Nachkommen beherrscht worden, ehe sein Enkel Kubilai Khakhan wurde, dieses Reich noch weiter vergrößerte und mit noch festerer Hand zusammenfügte. Alle diese Mongolenherrscher von Chinghiz Zeiten an hatten verschiedene Namen, trugen aber alle ein und denselben Titel Khan oder Khakhan.
    Nun fordere ich die Leser auf, einmal zu überlegen, wie leicht das gesprochene oder geschriebene Wort Khan oder Khakhan irrtümlich als Zuäne oder John oder Johannes verstanden oder geles en werden könnte. Einmal angenommen, irgendein längst verstorbener christlicher Reisender im Osten hat den Namen irrtümlich so verstanden. Es wäre doch nur allzu natürlich, wenn er dabei an den heiligen Apostel eben dieses Namens erinnert wurde - und wäre ja wohl weiter kein Wunder, wenn er hinterher glaubte, von einem Priester oder Bischof, der den Namen des Apostels trug, gehört zu haben. Er brauchte ja nur das falsch Gehörte mit der Wirklichkeit zu vermischen -dem Ausmaß, der Macht und dem Reichtum des Mongolen-Khanats -, um später, als er zurückkehrte ins Abendland, eifrig von einem Prete Zuäne zu berichten, den es zwar nur in seiner Phantasie gab, der aber über ein imaginäres christliches Reich gebieten sollte.
    Nun, wenn ich recht habe, waren die Khane wohl für die Legendenbildung verantwortlich, ohne dazu von sich aus beigetragen zu haben; nur sind sie selbstverständlich keine Christen. Auch haben sie nie jene legendenumwobenen Dinge besessen, deren Besitz dem Prete Zuäne zugeschrieben wurde: den Zauberspiegel, in dem er ferne Machenschaften seiner Feinde erblickt, die Zaubermittel, mit deren Hilfe er jedes menschliche Gebrechen heilen kann, sowie seine menschenverschlingenden Krieger, die unbesiegbar sind, weil sie nur von überwältigten Feinden leben -und all die anderen Wunderdinge, die so sehr an die Märchen der Shahryar Zahd gemahnen.
    Was nicht heißt, im Osten gäbe es überhaupt keine Christen. Die gibt es nämlich, und zwar viele, Einzelindividuen und Gruppen, ja ganze Christengemeinden, die sich überall finden, von der mittelmeerischen Levante bis zu den fernsten Gestaden Kithais, und diese Christen findet man unter allen Hautfarben, von Weiß bis zu Rauchfarben, Braun und Schwarz. Unseligerweise handelt es sich durch die Bank um Angehörige der östlichen Kirche, das heißt, um Anhänger der Lehren des schismatischen Abtes Nestorius, sind also für uns Gläubige der römischen Kirche Ketzer. Denn die Nestorianer leugnen, daß die Jungfrau Maria den Titel Muttergottes trage, gestatten nicht, daß das Kruzifix in ihren Kirchen hängt, und verehren den von uns verabscheuten Nestorius als Heiligen. Außerdem geben sie sich zahllosen anderen Häresien hin. Ihre Priester leben nicht im Zölibat, viele von ihnen sind verheiratet, und alle hängen sie der Praxis der Simonie an, denn sie spenden die Sakramente nur gegen Bezahlung von Geld. Das einzige, was die Nestorianer mit uns echten Christen verbindet, ist die Tatsache, daß sie denselben Herrgott anbeten und Christus als Seinen Sohn anerkennen.
    Das zumindest ließ sie mir, meinem Vater und meinem Onkel verwandter erscheinen als die zahlenmäßig weit überlegenen Verehrer Allahs oder Buddhas oder noch unbekannterer Gottheiten. Infolgedessen bemühten wir uns -auch wenn wir ihre Lehren nicht anerkannten -, keine übergroße Abscheu vor

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