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Marco Polo der Besessene 1

Marco Polo der Besessene 1

Titel: Marco Polo der Besessene 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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wisperte ich ganz leise.
    Vizan fuhr fort: »Hätte es diese Ereignisse, von denen ich
    erzählt habe, nicht gegeben -und hätte Prinzessin Shams eine
    andere Wahl getroffen -, wer weiß, vielleicht wäre ich dann
    immer noch...« Wieder stocherte er im Feuer herum, doch die
    Glut wurde immer fahler und erlosch. »Ach ja, mich packte es,
    in die Wildnis zu gehen und zu suchen. Ich suchte, und was ich
    fand, das war die wahre Religion und diese meine
    umherziehenden Brüder, und mit ihnen ein neues Leben.
     
    Irgendwo nähre ich die geringe Hoffnung, dermaleinst in den
    Himmel zu kommen... und im Himmel, wer weiß...?«
    Die Stimme schien ihm zu versagen. Er sagte nichts mehr,
     
    wünschte uns nicht einmal mehr eine gute Nacht, sondern
    stand einfach auf, ging fort -wirbelte den Geruch von
    Schafwolle und Schafsmist auf - und verschwand in seinem von
    den Unbilden der Witterung mitgenommenen und oft geflickten
    kleinen Zelt. Nein, ich habe ihn nie für den Prete Zuäne der
    Legenden gehalten.
     
    Als auch mein Vater und Onkel sich in ihre Decken eingerollt
    hatten, saß ich noch lange gedankenverloren an der fast
    erloschenen Glut und versuchte im Geist, die alte Großmutter
    mit der unvergleichlich schönen Prinzessin Sonnenlicht in
     
    Einklang zu bringen. Ich war verwirrt. Wenn Vizan sie heute sähe - würde er dann die betagte und häßliche Alte in ihr sehen oder die herrliche Jungfrau, die er einst gekannt hatte? Und ich, würde ich weiterhin Abscheu empfinden, weil sie auch in ihrem hohen Alter, da man sie als Frau kaum noch anerkennen konnte, weiterhin von den Sehnsüchten einer Frau getrieben wurde? Oder sollte ich Mitleid mit ihr haben, weil sie gezwungen war, zu Täuschungen Zuflucht zu suchen, bloß um diese Sehnsüchte zu befriedigen, wo sie einst jeden Prinzen hätte haben können?
    Oder noch anders: Sollte ich mich selbst beglückwünschen und mich darüber freuen, die Prinzessin Sonnenlicht genossen zu haben, nach der eine ganze Generation von Männern sich einst vergeblich verzehrt hatte? Da ich diesen Gedanken weiterverfolgte, merkte ich, daß ich Gegenwart und Vergangenheit mit Gewalt in eines zusammenzudrängen versuchte und mich plötzlich noch weniger greifbaren Fragen gegenübersah -denn ich fragte mich plötzlich: Beruht die Unsterblichkeit auf der Erinnerung? Doch mit so tiefer Metaphysik konnte mein Geist einfach nicht fertig werden.
    Meinen Geist gibt es immer noch, wie die meisten Geister. Aber eines weiß ich heute, was ich damals nicht wußte. Ich weiß es aus eigener Erfahrung und aus Selbstkenntnis heraus. Der Mensch bleibt irgendwo tief in seinem Inneren immer im selben Alter. Nur sein Äußeres wird älter -seine körperliche Hülle sowie die wiederum sie umgebende Hülle, welche die ganze Welt ist. Im Inneren erreicht er ein gewisses Alter, und in diesem bleibt er für den Rest seines Lebens stehen. Dieses beständig gleichbleibende innere Alter mag von Mensch zu Mensch
    verschieden sein. Im allgemeinen, so nehme ich an, verfestigt es sich wohl im frühen reifen Erwachsenensein, da der Geist Erwachsenen-Bewußtsein und Erwachsenen-Schärfe erlangt hat, ohne daß Gewohnheit und Desillusion ihn hat erstarren lassen; wenn der Körper voll ausgewachsen, aber noch neu ist und das Feuer des Lebens spürt, nicht aber bis jetzt die As che des Lebens. Kalender, Spiegel und Eifer von Jüngeren können einem Menschen sagen, daß er alt ist; er sieht auch von sich aus, daß die Welt und alles um ihn herum gealtert sind insgeheim jedoch weiß er, daß er immer noch ein junger Mann von achtzehn oder zwanzig Jahren ist.
    Und was ich vom Manne behauptet habe, habe ich behauptet, weil ich eben ein Mann bin. Dasselbe muß aber noch mehr auf eine Frau zutreffen, der noch viel mehr als einem Mann daran gelegen sein muß, Jugend, Schönheit und Lebenskraft zu schätzen und zu bewahren. Ich bin sicher, nirgends gibt es eine Frau vorgerückten Alters, die in sich nicht das junge Mädchen birgt. Ich glaube, daß die Prinzessin Shams -auch als ich sie kannte -in ihrem Spiegel immer noch die strahlenden Augen, die Rosenlippen und die Weidenbiegsamkeit ihrer Anmut sah, die ihr Freier Vizan auch über ein halbes Jahrhundert, nachdem er Abschied von ihr genommen, immer noch sehen konnte genauso wie er den Duft des Klees nach dem Regen riechen konnte, den köstlichsten Duft, den Gott auf der Erde hat entstehen lassen.
     
    DIE GROSSE SALZWÜSTE
    Kashan war die letzte Stadt, in der wir im bewohnbaren grünen

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