Marco Polo der Besessene 1
den Sattelknauf in die Kniekehle eines der Beine klemmt. Kamele tragen aber kein Zaumzeug mit Gebiß, wie Pferde, sondern einen Zügel, der mit einem Holzpflock verbunden ist, der lebenslang in der Nasenscheidewand des Tieres sitzt. Die gleichsam gerümpfte Nase verleiht dem Kamel das Aussehen eines hochmütigintelligenten Wesens, doch dieser Anschein trügt vollkommen. Man muß sich ständig darüber im klaren sein, daß Kamele zu den beschränktesten aller Tiere gehören. Ein kluges Pferd spielt dem Reiter vielleicht gern einen Streich, um ihn abzuwerfen oder zu verwirren. Zu so etwas wäre ein Kamel nie in der Lage; es besitzt aber auch nicht den gesunden Instinkt
aufzupassen, wo es hintritt, oder vermeidbaren Gefahren auszuweichen. Ein Kamelreiter muß stets auf der Hut sein und sein Reittier selbst um deutlich erkennbare Felsen oder Löcher im Boden herumführen, auf daß es nicht stürze und sich womöglich ein Bein breche.
Wie schon die ganze Strecke von Acre her, reisten wir immer noch durch Gebiete, die meinem Vater und meinem Onkel nicht minder neu waren als mir; denn auf ihren bisherigen Reisen durch Asien waren sie auf einer weit nördlicheren Route als dieser gen Osten gezogen und auch wieder auf dieser zurückgekehrt in den Westen. Deshalb überließen sie es, wenn auch widerwillig, dem Sklaven Nasenloch, die Richtung anzugeben, der behauptete, in seinem Wanderleben schon oft durch dieses Land gezogen zu sein. Und das muß stimmen, denn er führte uns durchaus zuversichtlich und hielt nicht zweifelnd inne an den vielen Weggabelungen, auf die wir stießen. Er schien immer ganz genau zu wissen, wie wir weiterzureiten hatten. So brachte er uns auch zum Sonnenuntergang dieses ersten Tages in eine passend gelegene karwansarai. Um Nasenloch für sein gutes Betragen zu belohnen, ließen wir ihn sein Lager nicht im Stall bei den Kamelen aufschlagen, sondern bezahlten dafür, daß er im Hauptgebäude essen und schlafen konnte.
Als wir an diesem Abend um das Speisetuch herum saßen, vertiefte mein Vater sich in die Papiere, die der Shah uns gegeben hatte, und sagte:
»Ich erinnere mich, daß du uns gesagt hast, du hättest schon viele andere Namen gehabt, Nasenloch. Jetzt geht aus diesen Dokumenten hervor, daß du einem jeden deiner bisherigen Herren unter einem anderen Namen gedient hast: Sindbad. Ali Baba, Ali-ad-Din. Alle diese Namen klingen hübscher als Nasenloch. Wie, möchtest du, daß wir dich rufen?«
»Mit keinem dieser Namen, wenn ich bitten darf, Herr. Sie alle gehören längst vergangenen Etappen meines bisherigen Lebens an. Der Name Sindbad zum Beispiel hat nur etwas mit dem Lande Sind zu tun, wo ich herstamme. Diesen Namen habe ich längst abgelegt.«
Ich sagte: »Die Shahryar Zahd hat uns die Abenteuer eines Mannes erzählt, der unter dem Namen Sindbad der Seefahrer durch die Welt gezogen ist. Ist es möglich, daß Ihr das gewesen seid?«
»Das muß jemand gewesen sein, der mir sehr ähnlich ist -denn der Mann war ganz offensichtlich ein Lügner.« Er gluckste vergnügt in sich hinein, als er so über sich selbst herzog. »Ihr Herren stammt aus der Seefahrer-Republik Venedig, müßt also wissen, daß kein Seemann sich selbst jemals als Seefahrer bezeichnen würde. Er ist unwandelbar Seemann oder Matrose -Seefahrer ist ein Ausdruck der Landratten, die keine Ahnung von der Seefahrt haben. Und wenn dieser Sindbad es nicht einmal geschafft hat, seinen Beinamen glaubwürdig klingen zu lassen, muß einem auch alles, was er sonst erzählt, verdächtig vorkommen.«
Mein Vater jedoch ließ nicht ganz locker: »Ich muß in dies Papier einen Namen eintragen, unter dem Ihr jetzt unser Eigentum seid...«
»Schreibt nur Nasenloch hin, gütiger Herr«, sagte er leichthin. »Diesen Namen führe ich nun bereits seit jenem unseligen Zwischenfall, der mir ihn eingetragen hat. Ob Ihr Herren es nun glaubt oder nicht, ich bin früher einmal ein ausnehmend hübsches und stattliches Mannsbild gewesen, ehe diese Verstümmelung mir mein ganzes Aussehen ruiniert hat.«
Dann erging er sich ausschweifend darüber, was für ein gutaussehender Mann er gewesen war, als er noch zwei Nasenlöcher gehabt hatte, und wie die in seine männliche Schönheit verliebten Frauen hinter ihm hergewesen seien. In seiner Jugend, als Sindbad, sagte er, habe er ein reizendes Mädchen dermaßen bestrickt, daß sie ihr Leben aufs Spiel gesetzt hatte, um ihn aus den Händen geflügelter und böser Inselbewohner zu retten. Später, als Ali
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