Marco Polo der Besessene 1
nun alle junge Eunuchen«, fragte mein Onkel, »oder
dazu bestimmt, dazu gemacht zu werden?« »Aber nein, Mirza Mafio«, sagte Nasenloch. »Sie können genauso gut geben wie nehmen, falls Ihr versteht, was ich meine. Weit entfernt, in ihrem Geschlecht etwa verstümmelt zu sein, hat man sie in ihren unteren Regionen sogar noch verbessert. Das heißt, man hat sie zugänglicher und aufnahmewilliger gemacht, falls Ihr wißt, was ich meine. Begreift Ihr die Bedeutung der Wörter fa'il und mafa'ul.Nun, alfa'il bedeutet, ›der, der tut‹, und al-mafa'ul, ›der, dem es getan wird‹. Die Kashaner Knaben werden herangezogen, um schön zu sein, und dazu erzogen, willfährig zu sein; außerdem werden
sie körperlich -nun ja -sagen wir: angepaßt, so daß sie gleichermaßen köstlich sind als al-fa'il wie als al-mafa'ul.«. »Nach dem, was du sagst, sind sie also weniger engelhaft, als
sie aussehen«, sagte mein Vater voller Abscheu. »Aber Shah Zaman hat gesagt, die jungfräulichen Knaben, die er als Geschenke an andere Herrscher weitergibt, beziehe er hier aus Kashan.«
»Ach, die jungfräulichen Knaben - das ist etwas anderes. Solche werdet Ihr auf der Straße nicht zu sehen bekommen, Mirza Nicolö. Die werden genauso streng in pardah gehalten,
als wären sie jungfräuliche Prinzessinnen. Denn ihnen bleibt es
vorbehalten, die Konkubinen jener Fürsten und anderer reicher
Männer zu werden, die nicht nur einen anderun unterhalten,
sondern deren zwei: einen für Frauen und einen für Knaben.
Bis die jungfräulichen Knaben gleichsam geschenkreif sind,
halten ihre Eltern sie in einem Zustand ständiger Trägheit. Die
Jungen tun den ganzen Tag nichts weiter als sich auf daiwan-
Kissen zu räkeln und werden zwangsweise mit gekochten
Kastanien ernährt.«
»Gekochten Kastanien? Warum um alles in der Welt denn
das?«
»Durch eine solche Ernährung werden sie unendlich pummelig
und bekommen eine ganz blasse Haut; sie werden so weich,
daß man mit dem Finger kleine Gruben in sie hineindrücken
kann. Knaben von solch madenförmigem Aussehen werden
von den Zulieferern für die anderunass ganz besonders hoch
geschätzt. Über Geschmack läßt sich wahrhaftig nicht streiten.
Ich persönlich ziehe einen sehnig-geschmeidigen und
athletischen Jungen bei weitem vor und mache mir überhaupt
nichts aus so einem trägen, wabbeligen...«
»Der Verruchtheit ist hier offensichtlich genug«, schnitt mein
Vater ihm das Wort ab. »Erspar uns die deine.«
»Wie Ihr befehlt, Herr. Gestattet mir nur noch zu bemerken, daß
jungfräuliche Knaben sehr, sehr teuer sind und nicht gedungen
werden können. Doch andererseits -seht selbst! Selbst die
Straßenrangen hier sind wunderschön! Man kann sie für wenig
Geld kaufen, um sie zu behalten, oder für noch geringeres
Entgelt für einen schnellen...«
»Schweig! habe ich gesagt«, versetzte mein Vater bissig. »Sag
lieber, wo wir unterkommen können.«
»Gibt es nicht so etwas wie eine jüdische karwansarai« mischte
mein Onkel sich ein. »Ich würde zur Abwechslung gern wieder
einmal richtig essen.«
Diese Bemerkung muß ich erklären. In den vergangenen
Wochen hatten wir, wie nicht anders zu erwarten, festgestellt,
daß die meisten Gasthäuser unterwegs Muslime gehörten;
einige waren freilich auch von nestorianischen Christen betrieben worden. Die entartete Ostkirche beachtet jedoch soviel Fasten-und Festtage, daß praktisch jeder Tag entweder das eine oder das andere ist. Folglich hatten wir in diesen Stätten der Gastlichkeit entweder fromm hungern oder uns fromm überfressen müssen. Außerdem befanden wir uns in jenem Monat, den die persischen Muslime ramazan nennen. Das bedeutet eigentlich ›Heißer Monat‹, doch da der islamische Kalender dem Mond folgt, fällt der ›Heiße Monat‹ in jedem Jahr in eine andere Zeit; er kann genauso gut auf den Januar wie auf den August fallen oder irgendwo dazwischen liegen. Doch wann auch immer -kommt der ramazan, heißt es für die Muslime fasten. Ein Muslim darf an jedem einzelnen der dreißig Tage des ramazan von der Morgenstunde an, da man einen weißen Faden von einem schwarzen unterscheiden kann, bis zum Einbruch der Nacht weder essen noch trinken noch sich der Fleischeslust zwischen Mann und Frau hingeben. Auch darf er in dieser Zeit keinem Gast, welcher Religion dieser auch sei, irgendwelchen Verzehr anbieten. So hatten wir Reisenden tagsüber in keinem muslimischen Gasthaus auch
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