Marco Polo der Besessene 1
Teil Persiens Station machten; östlich davon erstreckte sich die leere Ödnis, die da Dasht-e-Kamroder Große Salzwüste heißt. Einen Tag vor unserem Eintreffen in dieser Stadt sagte der Sklave Nasenloch:
»Seht, ihr Herren, das Lastkamel hinkt. Ich nehme an, es hat sich den Huf wundgescheuert. Wenn die Stelle nicht vorher ausheilt, könnte uns das in der Wüste böse Überraschungen bringen.«
»Kameltreiber bist du«, sagte mein Onkel. »Was rätst du uns
als solcher?«
»Die Behandlung ist einfach, Herr. Ein paar Tage Ruhe für das
Tier. Drei Tage sollten reichen.«
»Nun denn«, sagte mein Vater. »Dann werden wir in Kashan Station machen und werden diesen Aufenthalt nutzen. Fülle unseren Reiseproviant wieder auf. Laß unsere Kleider waschen und so weiter!«
Während der Reise von Baghdad bis hierher hatte Nasenloch sich so trefflich und so unterwürfig angestellt, daß wir seine Neigung zu grobem Unfug ganz vergessen hatten. Doch bald hatte zumindest ich Grund zu der Annahme, daß der Sklave dem Kamel die kleine Wunde absichtlich beigebracht hatte, bloß um zu ein paar freien Tagen zu kommen.
Wichtigstes Gewerbe in der Stadt (und auch der Ursprung des Namens Kashan) war seit Jahrhunderten die Herstellung von kashi oder Mosaiksteinen, wie wir sagen; jener kunstvoll glasierten Steinplättchen, die in der gesamten muslimischen Welt zur Verschönerung der mashid-Tempel, Paläste und anderer Prachtbauten Verwendung finden. Hergestellt werden diese kashi in geschlossenen Werkstätten, so daß man nichts davon sieht; weit augenfälliger bot sich uns jedoch Kashans zweitwichtigster Handelsartikel dar, als wir in die Stadt einritten:
ihre schönen Knaben und jungen Männer. Bei den Mädchen und Frauen, die wir auf den Straßen sahen, jedenfalls soweit wir das durch ihren chador hindurch erkennen konnten -, handelte es sich um das Gemisch, dem man im Orient überall begegnet: von nichtssagend bis hübsch und hier und da etwas wirklich bemerkenswert Schönem. Im Gegensatz dazu waren fast ausnahmslos alle jungen Männer von auffallend schönem Gesichtsschnitt und Körperbau und herrlicher Haltung. Wieso das so ist, kann ich nicht sagen. Das Kashaner Klima sowie Essen und Wasser dort unterschieden sich in nichts von dem, was wir auch sonst in Persien angetroffen hatten, und ich vermochte auch nichts Besonderes in und an jenen Einheimischen erkennen, die in dem Alter standen, Mütter und Väter besagter junger Männer zu sein. Ich habe daher nicht die geringste Ahnung, wieso ihre männlichen Sprößlinge den Knaben und jungen Männern anderswo so weit überlegen waren -aber das waren sie, daran ist nicht im geringsten zu zweifeln.
Selbstverständlich, da ich selbst ein junger Mann war, hätte ich es vorgezogen, in das Gegenstück von Kashan -Shiraz einzureiten, wo es dem Vernehmen nach ebenso viele wunderschöne Frauen geben soll. Dennoch -selbst mein nicht sonderlich empfängliches Auge mußte bewundern, was es in Kashan zu sehen bekam. Die Knaben und Jünglinge waren weder schmutzig noch verpickelt oder grindig; sie besaßen eine makellos reine Haut, schimmerndes Haar, blitzende Augen und eine helle, nahezu durchscheinend wirkende Hautfarbe. Auch machten sie kein finsteres Gesicht oder standen mit hängenden Schultern und eingezogenem Kopf da; vielmehr reckten sie sich frei und stolz und hatten einen offenen Blick. Sie redeten auch nicht schlampig und undeutlich, sondern befleißigten sich einer klaren und verständlichen Sprache. Einer wie der andere, gleichgültig, welcher Schicht er angehörte, war so hübsch und reizvoll wie Mädchen -und zwar wie Mädchen von hoher Geburt, wohlerzogen und mit guten Umgangsformen. Die kleineren Jungen waren wie die köstlichen kleinen Cupidi, die wir aus den Bildern der alexandrinischen Künstler kennen. Die größeren hingegen wirkten wie die Engel auf den Tafelbildern von San Marco. Obwohl ehrlich beeindruckt und sogar ein wenig neidisch auf sie, gab ich das nach außen hin nicht zu erkennen. Schließlich schmeichelte ich mir, nicht gerade ein häßliches Beispiel meines Geschlechts und meines Alters zu sein. Meine drei Reisebegleiter jedoch konnten sich nicht genugtun, immer wieder Rufe des Erstaunens auszustoßen.
»Non persiani, ma preziom -keine Perser, sondern Schmuckstücke sind das«, ließ mein Onkel sich bewundernd vernehmen.
»Ein köstlicher Anblick, ja«, sagte mein Vater.
»Wahre Juwelen«, erklärte Nasenloch und blickte sich lüstern um. »Sind sie
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