Marco Polo der Besessene 1
Bewohnern Kashans noch auffiel, waren selbstverständlich die vielen hübschen auf der Straße spielenden Knaben. Sie sangen ihre Lieder zum Prellballspiel, zum Versteckspiel und zum Ringelreihen genauso wie die venezianischen Kinder, nur daß die Lieder hier sich eher anhörten, als schrien irgendwelche Katzen. Nicht anders übrigens hörten sich die Instrumente an, die von Musikanten gespielt wurden, die nach bakhshish heischten. Sie schienen übrigens keine anderen Instrumente zu kennen als den changal, der nichts anderes ist als eine guimbarde oder
Judenharfe, und die chimta, die nichts anderes ist als eine
eiserne Küchenzange, so daß ihre Musik nichts anderes war
als ein aus Schwirren und Klirren bestehender Ohrengraus. Ich
glaube, die Vorübergehenden, die ihnen ein oder zwei kleine
Münzen hinwarfen, taten das nicht, um für die Unterhaltung zu
danken, sondern um diese zumindest für einen kurzen
Augenblick zu unterbrechen.
Ich bin an diesem Morgen nicht weit gegangen, denn mein
Spaziergang brachte mich wie im Kreis durch die Straßen
zurück, und so stellte ich bald fest, daß ich mich dem Haus der
Witwe wieder näherte. Aus dem Fenster winkte mir die hübsche
Dienerin, gerade so, als hätte sie nur darauf gewartet, daß ich
vorüberkäme. Sie ließ mich ins Haus eintreten und führte mich
in einen Raum, der mit einigermaßen abgetretenen qali und
daiwan-Kissen ausgestattet war, und sagte mir im Vertrauen,
ihre Herrin sei anderweitig beschäftigt; im übrigen heiße sie
Sitare, was soviel heiße wie Stern.
Wir setzten uns auf einen Haufen Kissen. Da ich längst kein
unerfahrener Grünschnabel mehr war, bedrängte ich sie nicht
mit ungeschickter jugendlicher Gier. Ich begann vielmehr mit
leisen Worten artig Komplimente zu drechseln und rückte ihr
erst nach und nach etwas näher, bis mein Geflüster in ihren
hübschen Ohren sie so kribbelig machte, daß sie hin-und
herrutschte und kicherte; erst da hob ich den chador-ScUeier in
die Höhe, näherte meine Lippen den ihren und küßte sie ganz
zart.
»Das ist nett, Mirza Marco«, sagte sie. »Aber Ihr braucht keine
Zeit zu verschwenden.«
»Ich halte das keineswegs für Zeitverschwendung«, sagte ich.
»Denn ich genieße das Vorspiel genauso wie die Erfüllung. Wir
können uns den ganzen Tag Zeit dafür nehmen, wenn...«
»Ich meine, Ihr braucht Euch durchaus nicht mit mir
abzugeben.«
»Du bist ein sehr verständiges Mädchen, Sitare, und sehr
freundlich. Nur muß ich dir sagen, daß ich kein Muslim bin. Ich
brauche am ramazan nicht enthaltsam zu sein.«
»Ach, daß Ihr ein Ungläubiger seid, macht nichts.«
»Es erfreut mein Herz, das zu hören. Dann laß uns zur Tat
schreiten.«
»Gern. Entlaßt mich nur aus Eurer Umarmung, und ich werde
ihn holen.«
»Wie bitte?«
»Ich habe es Euch doch gesagt. Ihr braucht nicht fortzufahren,
mit mir zu tun als ob. Er wartet bereits darauf
hereinzukommen.«
»Wer wartet?«
»Mein Bruder Aziz.«
»Warum zum Teufel sollte dein Bruder den Wunsch haben, hier
mit uns zusammenzusein?«
»Nicht mit uns. Mit Euch. Ich werde verschwinden.«
Ich lockerte meine Umarmung, setzte mich auf und sah sie an.
»Entschuldige mich, Sitare«, sagte ich ganz auf meiner Hut,
und da ich einfach nicht wußte, wie sie anders fragen, fragte ich
sie rundheraus: »Bist du vielleicht divane?«. Divane aber heißt
verrückt.
Ehrlich verblüfft sah sie mich an. »Ich bin natürlich davon
ausgegangen, daß Ihr die Ähnlichkeit bemerkt habt, als Ihr
gestern abend hier wart. Aziz ist der Junge, der so aussieht wie
ich, auch rotes Haar hat wie ich - nur daß er noch viel hübscher
ist als ich. Sein Name bedeutet soviel wie Geliebter. Gewiß
habt Ihr mich deshalb doch angelächelt und mir zugezwinkert?«
Jetzt war es an mir, verblüfft zu sein. »Und wenn er so hübsch
wäre wie eine peri, warum sollte ich dir dann schöne Augen
machen - außer, du wärest diejenige, die ich...?«
»Und ich sage Euch, es bedarf keines Vorwands. Aziz hat Euch
gleichfalls angesehen und war augenblicklich entzückt; und
jetzt wartet er begierig draußen...«
»Und mir soll es gleich sein, ob Aziz für alle Ewigkeit im
Fegefeuer schmort!« rief ich nun doch erzürnt. »Laß es mich so
deutlich sagen, wie ich kann. Ich bin im Augenblick dabei, dich
zu verführen, mir zu Willen zu sein.«
»Mich? Ihr möchtet mit mir zina begehen? Und nicht
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