Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Marco Polo der Besessene 1

Marco Polo der Besessene 1

Titel: Marco Polo der Besessene 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
Vom Netzwerk:
kroch ein zweiter Skorpion darunter hervor, und auch diesen erschlug sie.
    »Anders wird man mit den häßlichen Viechern nicht fertig«, sagte sie zu mir. »Auf Beute gehen sie nachts aus, wenn man sie einfach nicht sehen kann. Deshalb muß man sie bei Tageslicht aufstöbern. Die Stadt ist völlig verseucht von ihnen. Warum, weiß ich nicht. Mein verstorbener guter Gatte Mordecai (alav ha-sholom) hat insgeheim immer gemurrt, der Herr habe sich schändlich geirrt, als er Ägypten bloß eine Heuschreckenplage schickte, wo er doch auch diese giftigen Kashaner Skorpione hätte können über die Ägypter herfallen lassen.«
    »Euer Gatte muß ein mutiger Mann gewesen sein, Mirza Esther, wenn er es wagte, den Herrgott persönlich zu kritisieren!«
    Sie lachte. »Lest nur Eure Heilige Schrift, junger Mann. Die Juden haben Gott von den Tagen Abrahams an immer Rügen wie Ratschläge erteilt. Ihr könnt schon im Ersten Buch Mosis nachlesen, wie Abraham sich seinerzeit mit dem Herrn angelegt und dann angefangen hat, mit Ihm zu feilschen. Mein Mordecai hat nicht minder Bedenken gehabt, Gottes Tun zu bekritteln.«
    Ich sagte: »Ich habe mal einen Freund gehabt -der war Jude und hieß Mordecai.«
    »Ein Jude und Euer Freund?« Das klang skeptisch, doch vermochte ich nicht zu sagen, ob sie bezweifelte, daß ein Christ mit einem Juden befreundet sein könne oder ein Jude mit einem Christen.
    »Nun, jedenfalls war er Jude, als ich ihn kennenlernte und er selbst sich Mordecai nannte. Freilich scheine ich ihm unter anderem Namen und in anderer Gestalt immer wieder zu begegnen. Einmal habe ich ihn sogar im Traum gesehen.«
    Dann berichtete ich von den verschiedenen Begegnungen und damit verbundenen Hinweisen, die offensichtlich alle darauf hinausgelaufen waren, mir unter die Nase zu reiben, wie »blutrünstig Schönheit« sei. Während ich erzählte, starrte die Witwe mich an, ihre Augen weiteten sich, und als ich fertig war, sagte sie:
    »Bar maze Und dabei seid Ihr ein Goi. Was immer er Euch begreiflich zu machen versucht -ich kann Euch nur raten, es Euch zu Herzen zu nehmen. Wißt Ihr, wem Ihr da immer wieder begegnet? Das muß einer von den Lamed-vav sein. Einer von den sechsunddreißig.«
    »Von den sechsunddreißig was?« »Tzaddikim. Laßt sehen - Heiligen, glaube ich, würden Christen sie wohl nennen. Es ist ein alter jüdischer Glaube. Daß es immer nur sechsunddreißig wahrhaft Gerechte auf der Welt gibt. Kein Mensch weiß, wer sie sind, und wüßte einer von ihnen, daß er dazugehört, würde das seine Vollkommenheit beeinträchtigen. Gleichwohl ziehen sie ständig durch die Welt und tun Gutes, nicht für Lohn noch Anerkennung. Manche behaupten, die Tzaddikim stürben nie. Andere hinwieder sagen, wenn ein Tzaddik sterbe, werde ein anderer guter Mensch von Gott dazu berufen, ohne daß er eine Ahnung hätte, welche Ehre ihm zuteil geworden ist. Noch andere behaupten, in Wahrheit gäbe es überhaupt nur einen einzigen Tzaddik, der, wenn er will, an sechsunddreißig Orten zugleich sein könne. Alle jedoch, die an diese Legende glauben, stimmen darin überein, daß Gott die Welt untergehen ließe, sollten die Lamedvav aufhören, ihre guten Werke zu verrichten. Eines freilich
    muß ich sagen -daß ich noch nie von einem gehört habe, der
     
    einem Goi Gutes angetan hätte.«
    Ich sagte: »Derjenige, dem ich in Baghdad begegnet bin, war
    vielleicht noch nicht einmal Jude. Er war ein fardarbab -
    Zukunftsleser, und der hätte auch Araber sein können.«
     
    Sie zuckte mit den Achseln. »Die Araber haben eine ähnliche
    Legende. Sie nennen den Gerechten einen abdal. Nur Allah
    allein weiß, wer ein solcher abflaust, und nur ihretwegen läßt
    Allah Hip Welt weiter existieren. Ich weiß nicht, ob die Araber
    die Legende von unserem Lamed-vav entlehnt haben, oder ob
    es dabei um eine Geschichte geht, die ihnen und uns
    gemeinsam gehört hat seit der Zeit, da wir alle beide Kinder
    Sems gewesen sind. Aber wer immer es auch ist, der Euch
    begegnet, junger Mann -ein abdal, der einem Ungläubigen
    seine Gunst zuteil werden läßt, oder ein Tzaddik, der einem Goi
    wohlgesonnen ist -, Ihr gehört zweifellos zu den Bevorzugten
    und solltet Euch dessen bewußt sein.«
     
    Ich sagte: »Sie scheinen nie von anderem denn von Schönheit
    und Blutrünstigkeit zu mir zu sprechen. Nun trachte ich bereits
    nach dem einen und versuche das andere zu meiden, soweit
    ich kann. Ich bedarf also kaum weiterer Ratschläge in bezug
    auf eines von beiden

Weitere Kostenlose Bücher