Marco Polo der Besessene 1
Tier handelt. Ich für meine Person muß sagen, solange es Frauen auf dieser Welt gibt, habe ich kein Verlangen, mich mit Männern zu paaren. Mann bin ich selbst, und so bin ich viel zu sehr mit meinem eigenen Körper vertraut, als daß ich an dem eines anderen Mannes Interesse nehmen könnte. Frauen jedoch -ach, Frauen! Die sind so herrlich anders als ich, und eine jede wieder so wunderbar anders als die andere - ich kann sie einfach nicht hoch genug einschätzen!«
»Sie einschätzen, Herr?« Das klang belustigt.
»Ja.« Ich hielt inne und erklärte dann mit gebührender
Feierlichkeit: »Ich habe einmal einen Mann umgebracht,
Nasenloch - aber ich könnte es nie über mich bringen, eine
Frau zu töten.«
»Ihr seid noch jung.«
»Und jetzt, Jafar«, wandte ich mich an den jungen Mann, »zieh
den Rest deiner Kleider an und verschwinde, ehe mein Vater
und mein Onkel zurückkehren.«
»Ich habe sie beide gerade eben kommen sehen, Mirza
Marco«, sagte Nasenloch. »Sie sind mit der Almauna Esther in
ihr Haus hineingegangen.«
Daraufhin ging auch ich dorthin, und wieder wurde ich von der
Dienstmagd Sitare aufgehalten, als sie mir öffnete. Ich wäre
einfach an ihr vorbeigegangen, doch sie packte mich am Ärmel
und flüsterte: »Nicht laut sprechen, bitte.«
Ohne mich daran zu halten, sagte ich mit normaler Stimme:
»Ich habe nichts mit dir zu bereden.«
»Psst! Die Herrin ist drinnen, und Euer Vater und Euer Onkel
sind bei ihr. Laßt sie also nichts hören, sondern antwortet mir.
Mein Bruder Aziz und ich haben über die Angelegenheit
gesprochen, die Euch und...«
»Ich bin keine Angelegenheit«, sagte ich eigensinnig. »Und ich
habe es nicht gern, wenn über mich geredet wird.«
»Ach, redet doch bitte leise, bitte' Seid Ihr Euch darüber im
klaren, daß übermorgen eid-alt'al-fitr ist?«
»Nein. Ich weiß nicht einmal, was das ist.«
»Morgen bei Sonnenuntergang endet der ramazan. In diesem
Augenblick beginnt der Monat Shawal, und der erste Tag
dieses Monats ist das Fest des Fastenbrechens, was bedeutet,
daß wir Muslime nicht mehr enthaltsam sein und fasten
müssen. Folglich können wir -Ihr und ich -jederzeit nach
Sonnenuntergang morgen zina machen.«
»Nur, daß du noch Jungfrau bist«, erinnerte ich sie, »und es um
deines Bruders willen auch bleiben mußt.«
»Darüber haben Aziz und ich ja gerade geredet. Wir möchten
Euch um einen kleinen Gefallen bitten, Mirza Marco. Und wenn
Ihr einwilligt, willige auch ich ein -mit Einwilligung meines
Bruders -, mit Euch zina zu machen. Selbstverständlich könntet
Ihr auch ihn haben, wenn Ihr wollt.«
Argwöhnisch sagte ich: »Dein Angebot erscheint mir übergroß
als Belohnung für einen kleinen Gefallen. Und was dein
geliebter Bruder sagt, klingt in der Tat brüderlich. Ich kann es
kaum erwarten, dieses kupplerische und affektierte Bürschchen
kennenzulernen.«
»Aber Ihr kennt ihn! Es ist der Küchenjunge, der mit dem
kastanienroten Haar, so wie ich...«
»Nicht, daß ich wüßte!« sagte ich; trotzdem konnte ich ihn mir
vorstellen: wie einen Zwilling von Nasenlochs Jafar im Stall,
einen stattlichen, muskulösen, hübschen jungen Mann mit der
Öffnung einer Frau, dem Witz eines Kamels und den
moralischen Grundsätzen eines windigen Wiesels.
»Als ich sagte, ›einen kleinen Gefallen‹«, fuhr Sitare fort,
»meinte ich einen, der klein ist für mich und Aziz. Für Euch wird
es ein großer Gefallen sein, denn Ihr werdet etwas davon
haben, ja, sogar Geld damit verdienen.«
Da stand ein wunderschönes Mädchen mit kastanienrotem
Haar und bot mir ihr Jungfernhäutchen und Geld dafür
obendrein -plus, wenn ich wollte, ihren dem Vernehmen nach
noch schöneren Bruder. Das selbstverständlich ließ mich
wieder an den Satz denken, den ich nun schon mehr als einmal
gesagt bekommen hatte, den Satz von der »Blutrünstigkeit der
Schönheit«. Was selbstverständlich zur Folge hatte, daß ich
augenblicklich auf der Hut war - nicht jedoch übervorsichtig, das
Angebot rundheraus auszuschlagen, ohne mir wenigstens
anzuhören, worum es überhaupt ging.
»Erzähle mir mehr«, sagte ich.
»Nicht jetzt. Da kommt Euer Onkel. Pssst!«
»Nun, ja!« dröhnte mein Onkel, als er sich aus dem dunkleren
Inneren des Hauses näherte. »Fiame sammeln, was?« Und
sein schwarzer Bart barst in einem strahlenden weißen
Lächeln, als er sich an uns
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