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Marco Polo der Besessene 1

Marco Polo der Besessene 1

Titel: Marco Polo der Besessene 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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keinen einzigen Brunnen und nicht eine karwansarai
    eingezeichnet hat.«
     
    »Trotzdem muß es so was geben. Schließlich ist es eine
    vielbenutzte Handelsstraße. Mashhad bildet genauso wie
    Baghdad eine wichtige Station auf der Seidenstraße.«
     
    »Und ist genauso groß wie Kashan, wie die Witwe mir gesagt
    hat. Und außerdem liegt die Stadt Gott sei Dank in den
     
    Bergen.«
    »Aber nach Mashhad kommen wir in wirklich kalte
    Bergregionen. Wahrscheinlich müssen wir dort irgendwo
    überwintern.«
     
    »Nun, wir brauchen uns nicht einzubilden, daß wir immer mit
     
    achterlichem Wind durch die Welt kommen.«
    »Und werden auch nicht durch Landstriche kommen, die wir
    kennen, Nico -das fängt erst wieder an, wenn wir in Kashgar
    sind, also in Kithai selbst.«
     
    »Aus den Augen, aus dem Sinn, Mafio. Was der Tag an Bösem
    bringt, reicht und so weiter. Im Moment reicht es, wenn wir uns
    Gedanken machen darüber, wie wir Mashhad erreichen.«
     
    Den nächsten Tag -den letzten Tag des ramazan -verbrachten
    wir größtenteils damit, daß wir müßig im Haus der Witwe
    herumsaßen. Ich glaube, ich habe unterlassen zu sagen, daß
    der Tagesbeginn in muslimischen Ländern nicht vom
    Morgengrauen an gerechnet wird, wie man eigentlich erwarten
    sollte, und auch nicht von der Mitternachtsstunde an, wie sonst
     
    in zivilisierten Ländern, sondern vom Sonnenuntergang an. Gleichviel, es hatte, wie mein Vater erklärt hatte, keinen Sinn, den bazär von Kashan aufzusuchen, ehe die Lager nicht alle wieder aufgefüllt wären. Wir hatten auch weiter keine Aufgaben, als unsere Tiere zu füttern und sie zu tränken und den Mist zur Stalltür hinauszuschaufeln. Damit jedoch gab sich Nasenloch ab - und auf Bitten der Witwe verstreute er den Kamelmist im Gemüsegarten. Dann und wann begaben ich, mein Vater oder mein Onkel uns hinaus, um einen Spaziergang auf den Gassen der Stadt zu machen, und wenn seine Verpflichtungen es erlaubten, tat auch Nasenloch das und brachte es, woran ich nicht zweifle, fertig, zwischendurch seinen verwerflichen Neigungen zu frönen.
    Als ich am Spätnachmittag in die Stadt ging, stieß ich auf eine große Menschenmenge, die sich an einer Straßenkreuzung versammelt hatte. Die meisten von ihnen waren jung gutaussehende Männer und nichtssagende Frauen. Nun hätte ich angenommen, daß sie der Lieblingsbeschäftigung der Menschen im Osten nachgingen und nur dastünden und gafften -oder, wenn es um orientalische Männer ging, dastünden, gafften und sich im Schritt kratzten -, wäre da nicht eine dröhnende Stimme gewesen, die sich aus der Mitte der Menge vernehmen ließ. Ich blieb daher stehen, gesellte mich zu den Zuhörern und schob mich nach und nach durch sie hindurch, bis ich den Gegenstand ihrer Aufmerksamkeit erblickte.
    Es handelte sich um einen im Schneidersitz am Boden hockenden alten Mann, um einen sha'ir oder Dichter, der dabei war, die Leute mit einer Geschichte zu unterhalten. Von Zeit zu Zeit und offensichtlich immer dann, wenn er besonders blumig sprach oder eine ungewöhnlich glückliche Wendung fand, ließ einer der Umstehenden eine Münze in die neben dem Erzähler stehende Bettelschale fallen. Mein Farsi war nicht gut genug, mir zu gestatten, alles wirklich zu würdigen, reichte aber immerhin, dem Faden der Erzählung zu folgen. Und da es sich um eine interessante Geschichte handelte, blieb ich stehen und lauschte. Der sha'ir berichtete, wie Träume entstehen.
    Zu Anbeginn, sagte er, habe es unter all den vielen Geistern, die es gibt - den jinn und afant, den peri und so fort -, auch einen Schlaf genannten Geist gegeben. Damals wie jetzt sei er verantwortlich gewesen für den nichtwachen Zustand alles Lebendigen. Nun besaß Schlaf einen ganzen Schwarm Kinder, die Träume hießen, doch in jenen ach so fernen Zeiten hatte weder der Schlaf noch seine Kinder jemals gedacht, daß die Träume in den Kopf der Leute hineingelangen könnten. Doch eines Tages -eines wunderschönen Tages -, da Schlaf tagsüber nicht viel zu tun hatte, beschloß dieser gute Geist, mit all seinen Jungen und Mädchen ans Meer zu gehen und sich einen freien Tag zu machen. Dort ließ er sie ein kleines Boot besteigen, das sie dort vorfanden, und sah ihnen liebevoll nach, wie sie ein kurzes Stück aufs Wasser hinausruderten.
    Unseligerweise, berichtete der alte Dichter, habe der Geist Schlaf jedoch zuvor etwas getan, was den mächtigen, Sturm genannten Geist erzürnt hätte; Sturm aber hatte nur auf eine günstige

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