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Marco Polo der Besessene 1

Marco Polo der Besessene 1

Titel: Marco Polo der Besessene 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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Gelegenheit gewartet, sich zu rächen. Als also die kleinen Träume des Schlafs sich aufs offene Meer hinauswagten, peitschte der böse Sturm die See zu einer brodelnden Raserei hoch, ließ einen wütenden Wind blasen und trieb das schwache Boot weit hinaus aufs Meer und ließ es an den Felsriffen einer verlassenen Insel namens Langeweile zerschellen.
    Und seit jener Zeit, sagte der sha'ir, säßen all die Traumjungen und -mädchen auf dieser öden Insel fest. (Und ihr wißt ja, sagte er, wie unruhig Kinder werden, wenn sie nichts zu tun haben und sich langweilen.) Tagsüber müssen die armen Träume es nun erdulden, von der Welt der übrigen Lebenden verbannt zu sein. Nachts aber -al-hamdo-lil-lah! -muß der Geist Sturm von seiner Macht abgeben, denn nachts herrscht der gütigere Geist Mond. Um diese Zeit können daher die Traumkinder am leichtesten für eine Zeitlang ihrer Langeweile entkommen. Das nutzen sie auch weidlich aus. Denn nächtens verlassen sie die Insel, streifen durch die Welt und beschäftigen sich damit, in die Köpfe der schlafenden Männer und Frauen einzudringen. Das ist der Grund, sagte der sha'ir, warum man nachts zu jeder
    Stunde von einem Traum unterhalten, belehrt, gewarnt oder in
    Angst und Schrecken versetzt werden kann, je nachdem, ob
     
    der betreffende Traum in dieser bestimmten Nacht ein
    wohlwollender Kleine-Mädchen-Traum oder ein
    boshaftbösartiger Kleiner-Jungen-Traum ist und in welcher
     
    Stimmung der Schläfer oder die Schläferin sich gerade
     
    befinden.
    Als der Dichter schloß, gaben die Zuhörer ihre Dankbarkeit
    durch das eine oder andere Geräusch zu verstehen, und die
    Bettelschale klirrte von den vielen Münzen, die hineingeworfen
    wurden. Ich selbst gab einen Kupfer-shahi, denn ich fand die
    Geschichte lustig -und nicht unglaubwürdig, wie so viele
    andere orientalische Mythen der eher närrischen Art. Mir schien
    die Vorstellung des Dichters von den zahllosen Traumkindern
    beiderlei Geschlechts, die von munterem, vorwitzigem Wesen
    waren, recht einleuchtend. Jedenfalls könnte sie sogar ein paar
    Phänomene erklären, wie sie im Abendland häufig auftreten,
    von denen man weiß und für die man noch nie eine richtige
    Erklärung gefunden hat. Ich meine die gefürchteten nächtlichen
    Heimsuchungen durch jene Buhlteufelchen, die sonst keusche
    Frauen und sonst doch wohl keusche Priester verführen.
     
    Als mit dem Sonnenuntergang auch das Ende des ramazan
    nahte, klopfte ich wieder an Witwe Esthers Haus, und Sitare
    ließ mich durch die Küche ein. Sie und ich waren die einzigen
    Menschen darin, und sie schien in einem Zustand kaum
    verhohlener Erregung, denn ihre Augen leuchteten und ihre
    Hände flogen. Sie war offensichtlich in ihr schönstes
    Feiertagsgewand gekleidet, hatte die Lidschatten mit al-kohl
    vertieft und die Lippen mit Beerensaft gerötet, doch daß ihre
    Wangen lieblich erblühten, hatte mit irgendwelchen Hilfsmitteln
    nichts zu tun.
     
    »Du bist für den Festtag gekleidet«, sagte ich.
    »Richtig, aber auch, um Euch zu gefallen. Ich will nichts
    vortäuschen, Mirza Marco. Ich habe gesagt, daß ich froh wäre,
    Gegenstand Eurer Glut zu sein, und das bin ich wirklich. Seht,
    ich habe uns dort drüben ein Lager bereitet. Und habe dafür
    gesorgt, daß die Herren und die anderen Diener alle
     
    anderweitig beschäftigt sind. Es wird also keine unliebsamen Unterbrechungen geben. Offen gestanden, zittere ich vor Vorfreude auf unsere...«
    »Moment«, sagte ich, wenn auch nicht sehr nachdrücklich, »ich habe mich einverstanden erklärt, nicht zu feilschen. Ihr seid eine Schönheit, bei deren Anblick einem Mann das Wasser im Mund zusammenläuft, was bei mir gerade jetzt der Fall ist, aber zuerst muß ich ganz sicher sein. Um welchen Gefallen geht es, für den du bereit bist, dich zu verkaufen.«
    »Habt nur noch ein kleines bißchen Nachsicht, dann werde ich es Euch sagen. Zuvor möchte ich Euch jedoch ein Rätsel aufgeben.«
    »Handelt es sich dabei wieder um einen hiesigen Brauch?« »Nehmt nur auf der Bank dort drüben Platz. Legt die Hände an die Seite - nein, haltet Euch an der Bank fest -, damit Ihr nicht in Versuchung geratet, mich anzufassen. Und jetzt schließt die
    Augen. Fest. Und haltet sie fest geschlossen, bis ich es Euch sage.« Achselzuckend tat ich, wie geheißen, und hörte sie kurz hin und
    her gehen. Dann küßte sie mich auf die Lippen, auf eine scheue, unerfahrene und jungfräuliche, gleichwohl jedoch überaus köstliche Weise

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