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Marco Polo der Besessene 1

Marco Polo der Besessene 1

Titel: Marco Polo der Besessene 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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Schlange sind, die
    zur Erfindung der arabischen Schriftzeichen angeregt haben,
    mit denen man auch farsi, turki, sindi und alle anderen
    zivilisierten Sprachen schreibt.«
     
    Wieder ergriff mein Vater das Wort. »Wir Abendländer haben
    sie immer die Wurmschrift genannt und keine Ahnung gehabt,
    wie nahe wir damit der Wahrheit kommen.«
     
    »Die Schlange hat uns aber noch mehr geschenkt als nur das,
    Mirza Nicolö. Ihre Fortbewegungsweise auf dem Boden durch
    Sichwinden und Sichstrecken -diese Bewegungsbilder haben
    irgendeinen hellen Kopf unter unseren Vorfahren auf den
    Gedanken gebracht, Pfeil und Bogen zu erfinden. Der Bogen ist
    dünn und gewunden wie eine Schlange. Der Pfeil ist dünn und
    gerade wie eine Schlange und hat einen Kopf oder eine Spitze,
    die tötet. Wir haben gute Gründe, die Schlange zu ehren, und
    so tun wir das auch. So nennen wir den Regenbogen zum
    Beispiel auch ›Himmlische Schlange‹, und das ist ein
    Kompliment beiden gegenüber.«
     
    »Interessant«, murmelte mein Vater und lächelte nachsichtig.
    »Im Gegensatz dazu vergleicht ihr Christen die Schlange mit
    eurem eigenen zab«, fuhr Nasenloch fort, »und behauptet, daß
    die Schlange die Lust in die Welt gebracht habe und die Lust
    daher etwas Falsches, Häßliches und ganz Abscheuliches ist.
    Wir Muslime geben Schuld dem, der auch wirklich schuld hat,
    also nicht der harmlosen Schlange, sondern Eva und all ihren
    weiblichen Nachkommen. Wie es im Quran in der vierten Sure
    heißt: ›Das Weib ist der Quell allen Übels auf Erden; Allah hat
     
    dies Ungeheuer nur geschaffen, um den Mann abzustoßen und
    sich abzuwenden von irdischer...‹«
    »Ciacche-tiacche!« sagte mein Onkel.
    »Wie bitte, Herr'«
    »Unsinn«, habe ich gesagt. »Sciocchezze! Sottise! Bifam
     
    ishtibah!«
    Entsetzt dreinschauend, rief Nasenloch: »Mirza Mafio, Ihr nennt
    die Heilige Schrift ein bifam ishtibah?«
     
    »Euer Quran ist von einem Menschen geschrieben worden, das könnt ihr nicht leugnen. Und genauso stammen der Talmud und die Bibel von Menschenhand.«
    »Hör schon auf, Mafio«, fiel mein frommer Vater ihm ins Wort. »Sie haben nichts anderes getan, als die Worte Gottes aufzuschreiben. Und die des Erlösers.«
    »Aber sie waren Menschen, ganz unzweifelhaft Menschen, ausgestattet mit dem Geist von Menschen. Alle Propheten und Apostel und Weisen sind Menschen gewesen. Und was für eine Art Menschen hat die heiligen Bücher geschrieben? Beschnittene!«
    »Erlaubt, darauf hinzuweisen, daß sie diese Bücher nicht mit
    ihrem...« »Doch -in gewisser Weise haben sie genau das getan. All diese Männer wurden aus religiösen Gründen in ihren kindlichen Organen verstümmelt. Als sie zu Männern heranwuchsen, stellten sie fest, daß sie in ihrer Lust beeinträchtigt waren, und zwar genau in dem Maße, wie sie in ihrem Gemächt beeinträchtigt waren. Das ist der Grund, warum sie in ihren heiligen Büchern das Gebot aufstellten, die Geschlechtlichkeit habe nicht lustvoll zu sein, sondern ausschließlich der Fortpflanzung zu dienen; in jeder anderen Hinsicht sei sie schändlich und bringe Schuld über die Menschen.«
    »Guter Herr!« Nasenloch ließ sich nicht abbringen. »Wir, die wir unserer Vorhaut verlustig gingen, sind deshalb noch lange keine Eunuchen.«
    »Jede Verstümmelung ist gleichbedeutend mit Beeinträchtigung«, hielt Onkel Mafio ihm entgegen. Er ließ den Zügel seines Kamels sinken, um sich am Ellbogen zu kratzen. »Als die Weisen des Altertums erkannten, daß die Beschneidung ihrer Glieder sie in ihren Empfindungen und damit in ihrer Lust einschränkte, mißgönnten sie den Unbeschnittenen daher, daß sie in der Geschlechtlichkeit mehr Lust empfanden. Gleich und gleich gesellt sich gern. Deshalb verfaßten sie ihre heiligen Bücher so, daß sichergestellt wurde, daß sie in ihrem elenden Zustand Gesellschaft hatten. Erst die Juden, dann die Christen - denn die Evangelisten und andere frühen Christen waren allesamt bekehrte Juden -und danach Muhammad und nach ihm die muslimischen Weisen. Alle sind sie durch die Bank Beschnittene gewesen; ihre Unterweisungen im Bereich des Geschlechtslebens klingen daher wie Gesang, der vor tauben Ohren gesungen wird.«
    Mein Vater machte ein genauso entsetztes Gesicht wie Nasenloch. »Mafio«, versuchte er ihn zu ermahnen, »hier in der Wüste könnte uns leicht der Donnerschlag treffen. Deine Kritik ist für meine Begriffe etwas ganz Neues, vielleicht sogar etwas Originales und Einzigartiges; trotzdem

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