Marco Polo der Besessene 1
unsere Kleider wuschen, denn in dieser Zeit war er selbstverständlich genauso nackt wie wir anderen auch. Als wir dann darangingen, unsere Zelte wieder weit auseinandergelegen aufzuschlagen, sorgte ich dafür, daß das seine und das meine nebeneinander lagen.
Beim Abendessen hockten wir jedoch wieder alle rund um das Feuer, und ich erinnere mich an jede banale Einzelheit an diesem Abend, als wäre es gestern gewesen. Aziz nahm mir und Nasenloch gegenüber auf der anderen Seite des Feuers Platz; als erster ließ sich dann mein Onkel gesellig neben ihm nieder, und dann ließ auch mein Vater sich auf der anderen Seite von ihm auf den Boden fallen. Während wir auf dem faserigen Hammelfleisch herumkauten, verschimmelten Käse mummelten und verschrumpelte Jujubebeeren in die Wasserbecher tunkten, um sie aufzuweichen, bedachte mein Onkel den Knaben mit koketten Seitenblicken, während mein Vater und ich wiederum die beiden voller Unbehagen ansahen. Nasenloch spürte offenbar nichts von irgendwelchen Spannungen in unserer Gruppe und meinte beiläufig zu mir gewandt:
»Ihr fangt an, wie ein richtiger Reisender auszusehen.« Das galt meinem Bart, den ich mir hatte stehen lassen. In der Wüste ist kein Mensch so töricht, Wasser fürs Rasieren zu opfern, und auch nicht so eitel, sich einzuseifen, denn der Schaum enthält notwendigerweise Sandkörnchen und Salz, die sich höchst unangenehm auf der Haut bemerkbar machen können. Mein eigener Bart wuchs inzwischen männlich dicht, und ich hatte sogar aufgehört, mich der mumum-Enthaarungssalbe zu bedienen. Vielmehr ließ ich den Bart auch wachsen, weil er der Gesichtshaut einen gewissen Schutz bot. Es kostete mich nur wenig Mühe, ihn fein säuberlich kurz gestutzt zu halten, und so habe ich ihn seither mein Leben lang getragen.
»Jetzt könnt Ihr ermessen«, plapperte Nasenloch weiter, »wie gnädig es von Allah war, nur die Männer mit Bart auszustatten und nicht die Frauen.«
Darüber dachte ich nach. »Es ist offensichtlich gut, daß Männer einen Bart haben, denn es könnte sein, daß sie einen prasselnden Sandsturm aushalten müssen. Doch warum ist es eine Wohltat, daß Frauen keinen haben?«
Der Kameltreiber reckte die Hände in die Höhe und schlug die Augen gen Himmel, als verzweifelte er ob meiner Unwissenheit. Doch noch ehe er etwas erwidern konnte, lachte der kleine Aziz auf und sagte: »Ach, laß mich es ihm sagen! Überlegt doch nur, Mirza Marco! War das nicht höchst rücksichtsvoll vom Erschaffer aller Dinge? Er hat jenes Geschöpf nicht mit einem Bart ausgestattet, das ihn nie sauber rasiert oder zumindest fein gestutzt halten könnte, weil es ständig das Kinn bewegt.«
Da mußte auch ich lachen und desgleichen mein Vater und mein Onkel, und ich sagte: »Wenn das der Grund ist, bin ich froh. Eine bärtige Frau würde mich abstoßen. Aber wäre es
vom Schöpfer nicht klüger gewesen, Frauen zu erschaffen, die
weniger das Kinn bewegen?«
»Ah«, meinte mein Vater, der soviel für Sprichwörter übrig
hatte, »wo Töpfe sind, wird geklappert.«
»Mirza Marco, ich weiß noch ein Rätsel für Euch, Mirza Marco!«
ließ Aziz sich mit Zwitscherstimme vernehmen und hüpfte
freudig auf dem Platz auf und ab, auf dem er saß. Der Junge
war zugegebenermaßen ein nicht ganz reiner Engel und in
vieler Hinsicht weltkluger als manch ein erwachsener Christ,
aber er war noch ein Kind. Seine Worte überstürzten sich
nahezu, so sehr drängte es ihn, sie hervorzusprudeln. »Es gibt
nur wenige Tiere in dieser Wüste. Eines jedoch gibt es hier, das
das Wesen von sieben verschiedenen Tieren in sich vereint.
Was ist das wohl, Marco?«
Stirnrunzelnd tat ich so, als dächte ich angestrengt nach, doch
dann sagte ich: »Ich geb's auf.«
Aziz krähte und lachte vor Vergnügen und schickte sich an zu
reden. Doch dann riß er Mund und Augen noch weiter auf.
Nicht anders erging es den Augen und dem Mund meines
Vaters und meines Onkels. Nasenloch und ich mußten
herumfahren, um zu sehen, was sie so erschreckte.
Drei zottige braune Männer waren aus dem Trockennebel der
Nacht aufgetaucht und starrten uns schlitzäugig aus
ausdruckslosen Gesichtern heraus an. Sie waren mit Fellen
und Lederzeug bekleidet und trugen nicht die arabische Tracht;
auch mußten sie von weit her schnell geritten kommen, denn
sie waren staub-und schweißbedeckt und stanken selbst aus
der Entfernung, in der sie standen.
»Sain bina«, grüßte mein Onkel, der sich
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