Marco Polo der Besessene 1
das Wort »Wehen«, das in diesem Zusammenhang gefallen war, und was die Wehen betraf, so brauchte ich jetzt keine Unterweisung. Selbstverständlich wußte ich auch, daß Frauen im Kindbett oft starben. Angenommen, ich starb in diesem fremden Körper! Es würde ja nicht einmal jemand wissen, wer ich war. Als namenlose, wahrscheinlich unverheiratete Dirne, die niemand haben wollte und die von ihrem eigenen Wechselbalg zu Tode
gebracht worden war, würde ich verscharrt werden... Allerdings gab es über Dringenderes nachzudenken als darüber, was mit meinen unrühmlichen Überresten zu geschehen habe. Der schneidende Schmerz setzte wieder ein, genauso heftig wie zuvor, doch diesmal biß ich die Zähne zusammen, schrie nicht, sondern bemühte mich sogar, den Schmerz zu untersuchen. Er schien tief in meinem Bauch einzusetzen, irgendwo hinten, in der Nähe der Wirbelsäule, und von dort aus nach vorn durchzustoßen. Dann gab es eine Pause, in der ich wieder Atem schöpfen konnte, ehe der Schmerz mich wieder anfiel. Obwohl der Schmerz mit keiner der aufeinanderfolgenden Wellen abnahm, schien ich jedesmal ein wenig besser damit fertig zu werden als zuvor. Infolgedessen versuchte ich, die Wehen und die dazwischenliegenden Pausen abzumessen. Jeder Anfall dauerte so lange, daß ich langsam bis dreißig oder vierzig zählen konnte, doch als ich versuchte, die Pausen dazwischen abzuzählen, kam ich in so hohe Zahlen, daß ich durcheinandergeriet und nicht mehr mitkam.
Es gab noch anderes, das zu meiner Verwirrung beitrug. Entweder ich selbst oder aber der Raum wechselten ab zwischen Fieberglut und Eiseskälte; ich wurde entweder geröstet, daß ich völlig erschlaffte, oder aber mich fror, daß ich eine einzige Verkrampfung war. Irgendwie fand mein Bauch zwischen all seinen anderen Beschwerden auch noch Zeit, Brechreiz auszulösen. Ich stieß auf, rülpste verschiedentlich und mußte mehrere Male dagegen ankämpfen, mich zu übergeben. Meine Blase konnte ich immer noch nicht wieder kontrollieren, und so ließ ich bei jedem Schmerzanfall Wasser und konnte nur durch entschlossenes Zusammenziehen von Muskeln verhindern, daß sich auch noch mein Darm leerte. Der Urin mochte ätzend gewirkt haben, jedenfalls bewirkte er, daß Schenkel, Schritt und Gesäß sich roh und abgeschürft anfühlten. Rasender Durst quälte mich, was vermutlich daran lag, daß ich so sehr geschwitzt und Wasser gelassen und damit viel von meiner Körperflüssigkeit von mir gegeben hatte. Immer wieder verkrampften sich meine Hände, jetzt geschah das gleiche mit den Beinen, und das in der häßlichen Haltung, in der ich sie hochgezogen hatte. Daß ich die hindora unterm Rücken fühlte, war nicht angenehm. Eigentlich tat es mir überall weh, selbst im Mund; ich hielt ihn dermaßen verzerrt aufgerissen, daß mir selbst die Lippen weh taten. Ich konnte fast froh darüber sein, wenn die Wehen durch meine Eingeweide wühlten; denn die Wehen waren so unendlich viel schrecklicher als alles andere, daß ich die kleineren Schmerzen darüber vergaß.
Ich hatte mich mit der Erkenntnis abgefunden, daß der Liebestrank mir keinerlei Freude bringen würde. Jetzt, da die Stunden sich endlos in die Länge zogen, versuchte ich, mich damit abzufinden zu ertragen, was der Trank mir statt dessen beschert hatte - Durst und Ekel und Selbstbeschmutzung und allgemeines Elend und dazwischen immer wieder Schmerzanfälle -entweder, bis dies sich verflüchtigte und ich wieder zu dem wurde, der ich zuvor gewesen war, oder bis ich von irgendwelchem neuen und anderen Elend niedergedrückt wurde.
Und genau das geschah. Als die Schmerzen keine Spritzer Urin mehr aus mir herauspreßten, dachte ich, mein Körper wäre endlich aller Flüssigkeit entleert. Doch plötzlich fühlte ich mich in den unteren Regionen von noch mehr Feuchtigkeit förmlich hinweggeschwemmt, einer Flut, als hätte jemand einen Krug Wasser zwischen meinen Beinen ausgegossen. Wie warmer Urin war das Wasser, doch als ich den Kopf hob, um hinzusehen, sah ich, daß die Lache, die sich dort unten ausbreitete, farblos war. Auch begriff ich, daß das Wasser nicht aus meiner Blase stammte und nicht durch das kleine weibliche Harnloch herausgeströmt war, sondern aus dem mihrab -Kanal. Ich mußte annehmen, daß diese neue Überschwemmung nur eine neue Phase in dem wirklich alles andere als appetitlichen Geburtsvorgang ankündigte.
Die Unterleibsschmerzen folgten jetzt in immer kürzeren Abständen und ließen mir kaum Zeit, vom
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