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Marco Polo der Besessene 1

Marco Polo der Besessene 1

Titel: Marco Polo der Besessene 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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an mich mit der Frage: »Habt Ihr noch irgendwelche Anmerkungen zu dieser überaus schwerwiegenden Beschuldigung zu machen?«
    Ich räusperte mich und sagte zögernd: »Wer -wer beschuldigt mich dessen, Messere?« Es war wahnwitzig, das zu fragen, und ich konnte vernünftigerweise auch nicht erwarten, eine Antwort zu bekommen, doch war dies eben die Frage, die mich zumeist beschäftigte. Und zu meiner größten Verwunderung antwortete der Signore della Notte:
    »Das habt Ihr selbst getan, junger Messere.« Ich muß ungläubig gezwinkert haben, denn er fügte noch hinzu: »Habt Ihr dies nicht geschrieben?« und las mir von dem Stück Papier vor: »Wird er bei der Bestattung als auch bei der Amtseinführung zugegen sein?« Ja, ich bin sicher, dass ich ihn fassungslos angezwinkert habe, denn er fügte noch hinzu: »Und unterschrieben ist mit Marco Polo.«
    Ich ging wie ein Schlafwandler, als die Wachen mich die Treppen hinunterbrachten an einen Ort, den sie Brunnenschacht nannten, das tiefste Verlies des vulcano. Doch selbst das sei noch nicht der richtige Kerker, erklärten sie mir; nach meiner rechtmäßigen Verurteilung müsse ich darauf gefaßt sein, in den Dunklen Garten verlegt zu werden, wohin man die Verurteilten vor der Urteilsvollstreckung bringe. Rauh auflachend, schlossen sie eine dicke, aber nur kniehohe Holzluke auf, stießen mich hindurch und ließen die Luke mit einem dumpfen Laut wieder zufallen, der sich anhörte wie ein Totengeläut.
    Diese Zelle war wenigstens wesentlich größer als die orba, und in der niedrigen Luke gab es zumindest ein Loch. Dieses Loch war zu klein, als dass es mir erlaubt hätte, drohend die Faust hinter meinen sich entfernenden Kerkermeistern her zu schütteln. Immerhin gestattete es, genug Luft und Licht durchzulassen, so dass die Zelle nicht vollkommen dunkel war. Als meine Augen sich an das Dämmer gewöhnt hatten, erkannte ich, dass die Zelle mit einem Eimer samt Deckel ausgestattet war, der als pissota dienen sollte; außerdem wies er zwei nackte Bretter auf -Pritschen, auf deren einer ich schlafen sollte. Außer einem unordentlichen Haufen in der Ecke, der aussah, als handelte es sich um Bettzeug, konnte ich
    nichts erkennen, doch als ich mich ihm näherte, bewegte der
     
    Haufen sich, erhob sich und entpuppte sich als ein Mann.
    »Salamelech!« sagte er heiser. Die Begrüßung klang
    fremdländisch. Ich verengte die Augen und erkannte das
    rotgraue verfilzte Bart-und Haupthaar. Es gehörte dem zudio,
    dessen öffentlicher Auspeitschung ich an jenem Tag
    beigewohnt hatte, der so viel süßere Erinnerungen für mich
    barg.
     
    »Mordecai«, stellte er sich vor. »Mordecai Cartafilo.« Und
    stellte mir dann die Frage, die alle Gefangenen einander bei der
    ersten Begegnung stellen: »Weshalb hat man Euch
    eingesperrt?«
     
    »Wegen Mordes«, sagte ich und schniefte. »Und Verrat, wie ich
     
    meine, und lesa-maesta, und noch ein paar andere Dinge.«
    »Mord reicht«, sagte er trocken. »Keine Bange, Bürschlein. Die
    anderen Kleinigkeiten werden sie einfach übersehen. Dafür
    könnt Ihr nicht bestraft werden, nachdem man Euch erst für
    Mord bestraft hat. So was wäre doppelte Bestrafung, und das
    ist per Gesetz verboten.«
     
    Ich bedachte ihn mit einem säuerlichen Blick. »Ihr scherzt, alter
     
    Mann.«
    Er zuckte mit den Achseln. »Man erhellt das Dunkel, so gut es
    geht.«
     
    Düsteren Gedanken nachhängend, saßen wir eine Weile in der
    Finsternis. Dann sagte ich: »Ihr sitzt wegen Wuchers hier ein,
    nicht wahr?«
     
    »Nein, das stimmt nicht. Ich bin nur hier, weil eine gewisse
     
    Dame mich des Wuchers beschuldigt hat.«
    »Welch ein Zufall! Ich sitze auch -zumindest indirekt -einer
    Dame wegen hier.«
     
    »Nun, ich habe ›Dame‹ nur gesagt, um das Geschlecht anzudeuten. In Wahrheit ist sie« -er spuckte auf den Boden »eine Sheauesa kämve.«
    »Ich verstehe Eure fremden Wörter nicht.« »Eine feine Hündin von einer Hure«, sagte er, als spuckte er noch immer aus. »Sie hat sich ein Darlehen von mir erbeten und als Pfand ein paar Liebesbriefe dagelassen. Als sie nicht bezahlen konnte und ich ihr die Briefe nicht zurückgeben wollte,
    sorgte sie dafür, dass ich sie niemand anders aushändigen konnte.« Mitfühlend schüttelte ich den Kopf. »Euer Fall ist ein trauriger
    Fall, meiner jedoch ein ironischer. Meine Dame erbat sich einen Gefallen von mir und versprach sich selbst als Belohnung. Der Gefallen wurde erwiesen, aber nicht von mir. Trotzdem

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