Marco Polo der Besessene 1
leicht über die Lippen kamen: »Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben und die Herberge nicht vorm Erwachen.«
Doch auch am nächsten und übernächsten Tag sowie an den darauffolgenden Tagen ließ sich nicht leugnen, daß die Unterbringung auf dem Schiff mindestens so anständig war wie in einem Gasthaus an Land. In früheren Jahren wäre ein Schiff, welches das Heilige Land anlaufen sollte, randvoll mit Pilgern aus aller Herren Länder beladen gewesen, die wie die Sardinen im Faß in Reihen und übereinander im Laderaum und an Deck geschlafen hätten. Doch von der Zeit, da ich berichte, war San Zuàne de Acre der letzte und einzige offene und noch nicht von den Sarazenen eingenommene Hafen im Heiligen Land; infolgedessen blieben alle Christen mit Ausnahme der
Kreuzfahrer daheim. Wir drei Polo hatten unmittelbar unter der Kapitänskajüte auf dem Achterdecksaufbau eine Kammer ganz für uns allein. Die Schiffsküche versorgte sich aus mitgeführtem lebendigen Vieh, und so bekamen wir, wie auch die Mannschaft, anstelle des üblichen Pökelfleisches frisches Fleisch und Geflügel vorgesetzt. Es gab Teigwaren aller Art, Olivenöl und Zwiebeln und guten korsischen Wein, der in dem feuchten Sand aufgehoben wurde, den das Schiff im Laderaum unten am Kiel als Ballast mit sich führte. Das einzige, was wir entbehren mußten, war frischgebackenes Brot; statt dessen reichte man uns harte agiàda-Zwiebacke, die man weder beißen noch zerkauen kann, sondern an denen man lutschen und saugen mußte; doch das war auch das einzige, worüber wir uns hätten beklagen können. Es war ein medegoto, also ein Schiffsarzt, an Bord, der sich um Krankheiten und Wunden kümmerte, und außerdem ein Kaplan, der die heilige Messe las und bei dem man beichten konnte.
»Erzählt mir bitte von den fremden Ländern jenseits des Meeres«, wandte ich mich nach einer Messe an meinen Vater, denn in Venedig hatten er und ich kaum Zeit gehabt, uns zu unterhalten. Seine Antwort jedoch verriet mir mehr über ihn als über irgendein fernes Land hinterm Horizont.
»Ach, welch eine Fülle von Gelegenheiten sie für einen ehrgeizigen Kaufmann bergen!« rief er begeistert und rieb sich die Hände. »Seidenstoffe, Geschmeide, Gewürze -davon träumt selbstverständlich noch der beschränkteste Händler doch für einen wahrhaft Klugen tun sich noch ganz andere Möglichkeiten auf. Jawohl, Marco. Selbst wenn du uns bloß bis in die Levante begleitest, kannst du, wenn du die Augen offen hältst und nicht den Verstand verlierst, bereits die Grundlagen für ein eigenes Vermögen legen. Jawohl, alle Länder jenseits des Meeres sind Länder der großen Möglichkeiten.«
»Ich freue mich schon darauf, sie kennenzulernen«, sagte ich pflichtschuldigst. »Doch den Handel hätte ich auch erlernen können, ohne Venedig zu verlassen. Ich dachte mehr an..., nun
ja, an Abenteuer...« »An Abenteuer! Ja, ist denn ein größeres Abenteuer denkbar als das Ausfindigmachen von Handelsmöglichkeiten, die andere noch nicht erkannt haben? Und sie sich zunutze zu machen' Und Gewinn daraus zu ziehen?«
»Gewiß, gewiß, höchst befriedigend, das alles«, sagte ich, bemüht, seiner Begeisterung keinen Dämpfer aufzusetzen. »Aber was ist mit dem aufregenden Reiz, Exotisches zu sehen und nie Getanes zu tun? Auf all Euren vielen Reisen hat es doch gewiß nicht an Gelegenheiten dazu gemangelt!«
»Ah, ja. Exotisches!« Nachdenklich kratzte er sich den Bart. »Jawohl, auf unserer Rückreise nach Venedig, in Kappadozien, sind wir mal auf so was gestoßen. Dort gedeiht eine Mohnblume, die sehr viel Ähnlichkeit aufweist mit dem gewöhnlichen Klatschmohn auf unseren Feldern, nur, daß die Blüte von eher silberblauer Farbe ist und man aus der Milch, die aus ihrer Samenhülse austritt, ein einschläferndes Öl gewinnt, das eine äußerst wirksame Medizin ist. Ich wußte, daß es eine nützliche Ergänzung der einfachen Heilmittel sein würde, die unsere abendländischen Ärzte benutzen, und erhoffte mir einen erklecklichen Gewinn für unsere Compagnia. So machte ich mich daran, einige Samenkapseln dieses Mohns einzusammeln, um sie unter den Krokussen auf unseren Feldern auf dem Festland auszusäen. Ja, und das ist doch wohl etwas höchst Exotisches, noxe vero Eine großartige Gelegenheit dazu. Leider wurde in Kappadozien aber gerade Krieg geführt. Dabei wurden sämtliche Mohnfelder verwüstet und befand sich die Bevölkerung in einem derartig aufgelösten Zustand, daß es mir nicht
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