Marco Polo der Besessene 1
treiben wir Handel
mit ihnen?«
Isidoro zuckte die Achseln: »Geschäft ist Geschäft.«
»Nicht einmal die Päpste«, sagte Onkel Mafio, »haben jemals
Abstand davon genommen, mit den Heiden Handel zu treiben,
sofern dies Gewinn versprach. Der Papst und überhaupt jeder
andere geschäftstüchtige Herrscher täte gut daran, auch mit
dem noch ferneren Osten Handel zu treiben. Dort kann so
mancher ein Vermögen machen. Wir wissen das, denn wir
haben mit eigenen Augen gesehen, wie unendlich reich diese
Länder sind. Unsere erste Reise war gewissermaßen nur eine
Erkundungsfahrt; diesmal jedoch werden wir etwas mitnehmen,
womit wir handeln können. Die Seidenstraße ist überaus
beschwerlich zu benutzen, aber unmöglich ist das nicht. Wir
sind jetzt zweimal durch diese Länder gezogen, hin und zurück.
Und können es wieder tun.«
»Wer immer der neue Papst sein wird«, erklärte mein Vater, »er
sollte unserem Unternehmen seinen Segen geben. Rom ist die
Angst in die Knochen gefahren, als es aussah, als ob die
Mongolen Europa überrennen könnten. Doch die
verschiedenen Mongolen-Khane scheinen ihre Khanate so weit
nach Westen ausgedehnt zu haben, wie sie vorhatten. Das
bedeutet, dass die Hauptbedrohung der Christenheit die
Sarazenen sind. Deshalb sollte Rom die Gelegenheit begrüßen,
mit den Mongolen ein Bündnis gegen den Islam zu schließen.
Unsere Mission für den Khan Aller Khane könnte von
allergrößter Bedeutung sein -für die Ziele unserer heiligen
Mutter, der Kirche, genauso wie für den Wohlstand Venedigs.«
»Und den des Hauses Polo«, ergänzte Fiordelisa, die jetzt eben
diesem Hause angehörte.
»Das vor allem«, erklärte Mafio. »Laß uns daher jetzt mit dem
Schnabelwetzen aufhören und uns lieber ins Zeug legen, Nico.
Wollen wir wieder über Konstantinopel reisen und uns unsere
Priester dort zusammensuchen?«
Mein Vater überlegte und sagte dann: »Nein. Die Priester dort
sind zu verweichlicht -wie die Eunuchen. Eine Katze, die keine
Krallen mehr hat, fängt keine Mäuse. Aber unter den
Kreuzfahrern gibt es eine Menge junger Priester; das werden
harte Männer sein, die an ein hartes Leben gewöhnt sind.
Fahren wir ins Heilige Land, nach San Zuäne de Acre, wo die
Kreuzfahrer im Augenblick ihr Lager aufgeschlagen haben.
Doro, gibt es ein nach Osten fahrendes Schiff, das uns in Acre
absetzen kann?«
Der Schreiber sah in seinen Registern nach, und ich verließ das
Lagerhaus, um Doris zu sagen, wohin ich zunächst fahren
würde - und um ihr und Venedig Lebewohl zu sagen.
Ein Vierteljahrhundert sollte vergehen, ehe ich beide wiedersah.
Vieles sollte sich bis dahin verändert haben und wir älter
geworden sein - nicht zuletzt selbstverständlich auch ich selbst.
Aber Venedig sollte immer noch Venedig sein und - merkwürdig
-auch Doris sollte irgendwie immer noch die Doris sein, die ich zurückgelassen hatte. Was sie gesagt hatte: dass sie keinem ihre Liebe schenken würde, ehe ich nicht zurückkäme -diese Worte können einen Zauber gewirkt haben, der dafür sorgte, dass sie sich in all den Jahren nicht veränderte. Denn sie sollte nach all den vielen Jahren immer noch die junge, hübsche und quicklebendige Doris sein, die ich verlassen hatte, so dass ich sie auf Anhieb wiedererkannte und mich auf der Stelle in sie verliebte. Zumindest sollte es mir so vorkommen.
Doch die Geschichte werde ich erzählen, wenn es soweit ist.
DIE LEVANTE
Zur Vesperstunde eines blaugoldenen Tages liefen wir als einzige zahlende Passagiere mit der großen Frachtgaleasse, der Doge Anafesto, aus dem Malamoco-Hafenbecken am Lido aus. Die Galeasse war mit Nachschub -Waffen und Vorräten für die Kreuzfahrer beladen; sobald sie ihre Ladung in Acre gelöscht und uns an Land gesetzt hatte, sollte sie nach Alexandria weiterlaufen und dort eine für Venedig bestimmte Ladung Getreide übernehmen. Als das Schiff das Hafenbecken hinter sich hatte und auf die offene Adria hinauslief, nahmen die Ruderer die Riemen hoch, die Matrosen kletterten die beiden Masten empor und entrollten die anmutigen lateinischen Dreieckssegel. Das Segeltuch flatterte und knatterte, blähte sich dann in der Nachmittagsbrise und wogte so weiß und pausbäckig wie die Wolken über uns.
»Welch ein herrlicher Tag!« rief ich aus. »Und welch ein
wunderbares Schiff!« Mein Vater, der nie zum Schwärmen neigte, bedachte mich mit einem seiner erbaulichen Sprüche, die ihm so
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